■ Zum Streit um die EU-Gipfel-Proteste in Essen
: Demonstrieren, keine leichte Sache

Ja, es gibt gräßliche Aufrufe aus obskuren autonomen und antiimperialistischen Zirkeln zum EU-Gipfel in Essen. „Kommt nach Essen, Politiker jagen“, heißt es etwa in einem anonymen Fax von vermeintlich „Autonomen Gruppen“. Den „EU-Gipfel angreifen“, verkünden kleine Aufkleber, und selbst die auf den Spuren der RAF bombende terroristische „Antiimperialistische Zelle“, die jüngst in CDU- und FDP-Geschäftsstellen Sprengsätze hochgehen ließ, widmete dem Gipfel in einem umfangreichen Schreiben ein paar Zeilen.

Ganz andere Absichten verfolgen indes die Veranstalter des „Gegengipfels“ und der Demo. Dazu zählen auch zahlreiche Menschen aus „autonomen Zusammenhängen“, die bei der Demo „ihre politischen Inhalte nach außen tragen“ wollen – „defensiv“, ohne Randale. Allen Beteiligten des Bündnisses geht es darum, ihre Alternativen zur bestehenden Europapolitik darzustellen, und es herrscht Konsens, „die Demonstration keinesfalls unfriedlich zu führen und jeder Art von gewalttätigem Umfunktionieren entgegenzutreten“. (Klageschrift)

Gleichwohl hat der Essener Polizeipräsident die Demo im letzten Moment verboten. Im ersten Akt wies das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht die Verbotsverfügung ab. Auch wenn die Polizei mit „einzelnen Ausschreitungen“ rechne, sei ein Verbot nicht gerechtfertigt. Vorgegeben hat diese Linie das Bundesverfassungsgericht in seiner Brokdorf-Entscheidung vom 14.5. 1985. „Würde unfriedliches Verhalten einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, (....) könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da sich nahezu immer ,Erkenntnisse‘ über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen“, urteilte das höchste deutsche Gericht. Wenn die Polizei mit Ausschreitungen rechne, sei „bevorzugt eine nachträgliche Auflösung zu erwägen“ und nicht das generelle Verbot.

Genauso sahen das die Gelsenkirchener Richter am Donnerstag. Am Freitag sah die Welt plötzlich völlig anders aus. Auf Beschwerde der Polizei hob das Gericht seinen eigenen Beschluß „wegen zusätzlicher Erkenntnisse“ auf. Die „Gefahrenprognose“ spreche nun für einen „insgesamt unfriedlichen Verlauf der Demo“. Nachgeliefert hat die Polizei in letzter Sekunde vermeintlich „geheime Erkenntnisse“ über bundesweite „nicht öffentliche“ Vorbereitungstreffen der Autonomen in Oberhausen. Daraus gehe hervor, daß ein Teil der Veranstalter sich doch nicht gewaltfrei verhalten wolle. Glaubt man den Demo-Anmeldern, dann kommt diese Poilzeidarstellung einer bewußten Irreführung der Öffentlichkeit gleich. Erstens seien diese Treffen öffentlich gewesen, und zweitens habe es den behaupteten Aufruf zur Militanz nicht gegeben. Nach der Beschwerde der Veranstalter lag die endgültige Entscheidung am Freitag beim Oberverwaltungsgericht – Ausgang unbekannt.

Vieles spricht dafür, daß diese häppchenweise Informationspolitik der Polizei nur einem Ziel diente: das Demo-Verbot auf jeden Fall durchzubekommen. Nichts stand einer frühzeitigen Abklärung der Vorwürfe mit den Veranstaltern entgegen. Doch die Polizei mauerte. So wurden die Gerichte durch den künstlich erzeugten Zeitdruck quasi matt gesetzt, denn eine sachgerechte Überprüfung der vorgebrachten Behauptungen ließ die knappe Zeit gar nicht mehr zu. Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts an die staatlichen Organe, das grundgesetzlich garantierte Demonstrationsrecht auch unter schwierigen äußeren Bedingungen zu gewährleisten, wurde damit ausgehebelt. Das ist ganz im Sinne der Hardliner auf der anderen Seite, die ihrerseits an einer zivilen, den demokratischen Spielregeln folgenden Austragung des politischen Kampfes kein Interesse haben. Sollte das OVG hier kein Zeichen im Sinne der Veranstalter setzen, muß man für heute in Essen Übles befürchten. Walter Jakobs