Zwei wundersame Gouverneure in Chiapas

■ Der offizielle Gewinner der Wahl im mexikanischen Bundesstaat trat genauso sein Amt an wie der Verlierer / Zu den befürchteten Zusammenstößen kam es nicht

Tuxtla Gutierrez (taz) – Gleich zwei Gouverneure werden Chiapas künftig regieren: sowohl der offizielle Wahlgewinner Eduardo Robledo als auch sein Gegenspieler Amado Avendaño, Ex-Kandidat der Opposition, traten am Donnerstag in der Landeshauptstadt feierlich ihr Amt an – die befürchteten gewaltsamen Zusammenstöße blieben aus.

Militärjeeps patrouillierten durch die Straßen, Soldaten hatten den Schauplatz der Amtsübernahme weiträumig abgesperrt. Im Stadttheater, auf das Robledo hatte ausweichen müssen, da der Regierungspalast seit Tagen von „den anderen“ belagert war, ging die Zeremonie, zu der auch Präsident Zedillo angereist war, dann unerwartet ruhig über die Bühne. Keine Proteste, aber auch kein frenetischer Jubel: nur etwa tausend AnhängerInnen der Regierungspartei PRI hatten sich vor den Absperrgittern eingefunden, während sich die „upper class“ in Schlips oder Stöckelschuhen den Weg nach drinnen bahnte.

Ihnen wird nicht alles gefallen haben, was sie von Robledo zu hören bekamen: „Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit“ – immerhin die drei Hauptforderungen der EZLN – stellte er in Aussicht, selbst von der „Wiederherstellung der indianischen Würde“ war die Rede. Zur Beschwichtigung versprach er dann, in einer Agrarreform nur „das Verteilbare zu verteilen“, und überhaupt habe niemand „das Recht, einen Krieg gegen unser Volk zu führen“. Sein Ehrengast Ernesto Zedillo gab sich weniger originell: noch immer habe die Armee Anweisung, den Waffenstillstand zu respektieren, man suche weiter den „Dialog“.

Szenenwechsel: Ein paar Stunden später und wenige Straßen weiter geht es, mitten auf dem Hauptplatz vor dem Regierungsgebäude, beim Auftritt von Oppositionskandidat Amado Avendaño um einiges lebhafter zu. Rund fünftausend Menschen sind gekommen, größtenteils Bauern und IndianerInnen, denen die Erschöpfung der langen Märsche ins Gesicht geschrieben steht. Aufmerksam hört der fast sechzigjährige Avendaño den VertreterInnen von Bauern-, Studenten- und Frauenorganisationen zu, die dem „verfassungsmäßigen Gouverneur“ ihre Unterstützung zusichern. Schließlich die wundersame Zeremonie der Amtsübernahme: in Weihrauch gehüllt, übergeben die „Ältesten“ dem neuen Regierungschef ehrfurchtsvoll den traditionellen „Kommandostab“: mit diesem Stab, so wird später aus dem Indianischen übersetzt, „überreichen wir dir die Macht und die Weisheit der tausendjährigen Völker“.

Angesichts des Wahlbetruges, sagt Avendaño in seiner Antrittsrede, ginge es jetzt darum, „die Demokratie in die eigenen Hände zu nehmen.“ Zwar besitze man im Moment „nicht mal die geringste Infrastruktur“, bald aber werde das Volk die Ressourcen für das Überleben der Staatsführung aufbringen.

„Der andere“, den Avendaño mit keinem Wort erwähnt, ist gar nicht so weit entfernt: vom Balkon des Regierungspalastes aus schaut Eduardo Robledo dem Treiben zu. Erst kurz nach dem Abzug der Protestierer eröffnet er dort die erste reguläre Arbeitssitzung.

Die „Regierung der Rebellion“ dagegen hatte ihren Sitz vom schwülen Tuxtla ins kühle San Cristóbal verlegt. Dort hatten Angehörige der „Landesvollversammlung“ kurzerhand das staatliche Indianerinstitut besetzt, wo der parteilose Anwalt und Journalist fürs erste seine Alternativregierung installieren will. Die „Landesvollversammlung“, Bündnis aller oppositionellen Gruppen in Chiapas, wird als Parlament fungieren.

All das ist nicht nur symbolisch. Immer mehr Gemeinden schließen sich den sogenannten „autonomen Zonen“ unter indianischer Selbstverwaltung an. Regierungs- Funktionäre haben dort seit Monaten keinen Zutritt mehr – Amado Avendaño gilt ihnen als einzige Autorität. Und nicht wenige meinen, daß der neue „Volks- Gouverneur“ ja schließlich nicht nur über Territorium verfüge, sondern sogar – wenn auch nur indirekt – über eine eigene Armee. Anne Huffschmid