„Es geht um mehr als um diesen Transport“

■ „Mischung von Militanz und Bürgerprotest“ gegen Polizei und Atomindustrie: Wolfgang Ehmke ist seit den siebziger Jahren in der Bürgerinitiative von Lüchow-Dannenberg aktiv

taz: Der Castor-Behälter steht immer noch transportbereit vor dem AKW Philippsburg.

Wolfgang Ehmke: Wir bewegen uns auf unsicherem Terrain. Die Entscheidung des Lüneburger Verwaltungsgerichts kann sehr schnell vom Oberverwaltungsgericht aufgehoben werden. Wir hoffen, daß uns eine Atempause vergönnt ist, zumindest, bis im nächsten Jahr das Bundesamt für Strahlenschutz die sogenannte „Nutzungserweiterung“ für das Gorlebener Zwischenlager zuläßt.

Fünfmal stand der Transport bevor. Immer konnte ihn die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg verhindern. Warum?

Wolfgang Ehmke: Unsere Kraft liegt in der Erfahrung. Erfolgreich ist unsere spezifische Mischung aus Militanz und Bürgerprotest, sind unsere phantasievollen Formen der Auseinandersetzung. Wir signalisieren Lebenslust. Wir haben immer gut zu lachen. Der Widerstand macht ungeheuer Spaß. Für viele, die uns von außerhalb unterstützen, bleiben wir attraktiv, weil so etwas Urwüchsiges dabeizusein scheint, weil sich auch Bauern zu Wort melden. Da schwingt etwas mit von einem großen Traum. Für viele symbolisiert das Wendland die Verbindung von alternativem Leben und politischer Arbeit. Ein solches Bild kann beim Blick aus der Ferne leicht entstehen. Für uns stellt es sich nüchterner dar.

Nach der Gerichtsentscheidung flossen auf dem Marktplatz in Lüchow Freundentränen.

Natürlich haben wir uns riesig gefreut. Aber wir hatten schon vorher beinahe geglaubt, daß die bundesweite Anti-Atom-Stimmung und unsere guten Argumente uns noch einmal Luft verschaffen. Schließlich waren wir seit Juli letzten Jahres permanent auf der Straße. Das hat Früchte getragen. Es zeichnet sich so etwas wie eine Renaissance der Anti-Atom-Bewegung ab. Man kann das Atommülldilemma nicht dadurch lösen, daß man eine verfahrene Energiepolitik von der Polizei durchprügeln läßt. Dafür steht heute das Wort Castor. Es geht um viel mehr als nur um diesen einen Behälter. Auch denen, die uns unterstützt haben, geht es um mehr als um diesen einen Transport.

Die neue Bonner Umweltministerin steht vor einem Rätsel.

Ach ja – sie heißt bei uns Frau Merkelnix. Sie hat eine grandiose Chance verpaßt, sich in ihrem neuen Amt zu profilieren. Sie hätte nur sagen müssen, bevor Fakten geschaffen werden, mache ich mich mit der Situation vertraut. Aber Bürgerprotest oder Basisbewegungen sind ihr offenbar etwas völlig Fremdes. Sie wird noch spüren, daß es eine atomfeindliche Stimmung im Lande gibt.

Wie lange noch?

Wir müssen uns leider zunächst mit dem Thema Demonstrationsverbote und Krimininalisierung auseinandersetzen. Bei den Demonstrationen wurde ständig fotografiert. Es wird Ermittlungsverfahren geben, wobei sich die Behörden durch die Einstufung der Aktionen gegen die Bahnstrecken als „terroristisch“ die nötigen Spielräume verschafft haben. Womöglich klingeln im Januar wieder die Alarmtelefone.

Früher schrillten sie überwiegend in anderen Bundesländern. Die Leute aus Lüchow-Dannenberg waren in der Minderheit. Heute ist das anders.

Unsere Stärke liegt in der Mobilisierung im Wendland. Noch nie haben sich so viele Lüchow-Dannenberger an einer Castor-Kampagne beteiligt wie in diesem Sommer. Über 4.000 haben erklärt, sie wollten sich querstellen. Natürlich konnten wir nicht Zehntausende auf die Straße bringen wie in den siebziger Jahren. Dennoch gibt es im ganzen Bundesgebiet noch kleine Gruppen oder einzelne Leute, die der Anti-Atom-Bewegung treu geblieben sind. Dazu sind sehr viele neue, vor allem junge Menschen dazugekommen. Allerdings haben manche unser Widerstandskonzept wohl nicht richtig verstanden. Wir haben immer gesagt, daß wir eine Chance haben, den Transport zu verhindern, solange der Castor nicht losgefahren ist. Wenn er unterwegs ist, können wir mehr als Behinderungsaktionen nicht mehr auf die Beine stellen. Da ist zuletzt etwas schiefgelaufen. An jenem Samstag vor dem angekündigten Transporttermin hätten wir mehr als 2.000 sein sollen. Im Vorfeld vor dem nächsten Tag X müssen alle auf die Straße gehen. Fragen: Jürgen Voges