EU-Gipfel protestiert gegen Ankaras Kurden-Urteile

■ Niedersachsen stoppt Abschiebungen

Essen (taz) – Kein Land am Rande Europas hat derzeit so schlechte Beziehungen zur Europäischen Union wie die Türkei. Einhellig wie selten haben gestern die zum Gipfeltreffen in Essen versammelten Regierungschefs den Prozeß und die Urteile gegen acht kurdische Parlamentarier als Menschenrechtsverletzung verurteilt. Die Abgeordneten der prokurdischen Demokratie-Partei (DEP) waren am Donnerstag in Ankara zu Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren verurteilt worden.

Frankreichs Außenminister Alain Juppé forderte die Türkei auf, „die grundlegenden Regeln der Demokratie zu respektieren“, und auch der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Miguel Angel Martinez, forderte, die Urteilssprüche sofort aufzuheben. Die EU-Troika, die derzeit aus Deutschland, Frankreich und Griechenland besteht, will in Ankara offiziell gegen die Urteile protestieren. Beim Abendessen wollten alle EU-Außenminister ihr weiteres Vorgehen beraten, wobei auch von harten Sanktionen die Rede war. Die für 1996 geplante Zollunion der EU mit der Türkei dürfte endgültig vom Tisch sein. Bereits im Juni hatte die Europäische Kommission sich gegen eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei ausgesprochen und das mit der „Situation in Südostanatolien“ sowie der schwindenden Autorität der Regierung Tansu Çiller begründet. Auch die US-Regierung reagierte „mit tiefer Besorgnis“ auf das Urteil. Washington unterstütze zwar alle Antiterrormaßnahmen, allerdings dürfe dieser Kampf nicht die Menschenrechte verletzen.

Der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel wies die Kritik zurück: „Ich sehe keinen Grund für einen Aufschrei“, sagte er, die Türkei sei ein Rechtsstaat.

Dem mochte die niedersächsische Landesregierung nicht recht glauben: Als Reaktion auf die Urteile stoppte Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) bis auf weiteres die Abschiebung von Kurden in die Türkei. Donata Riedel Seiten 2 und 8