Freejazz im Blizzard

■ Peter Brötzmanns „Ruf der Heimat“ ertönte in den Weserterrassen

Wenn in Deutschland der „Ruf der Heimat“ erschallt, kann es schnell gewalttätig werden, ungesunder Nationalstolz sucht sich seine Opfer - immer noch. Den chauvinistischen Heimatbegriff nimmt das Quartett „Ruf der Heimat“ mit seinem Bandnamen ironisch aufs Korn. Denn die Heimat, die hier ruft, hat keine Grenzen und will auch keine.

Wenn man dem Freejazz eine Heimat zuordnen müßte, dann könnte es nur die politische Heimat Anarchie sein. Bestehende Strukturen werden in Frage gestellt, auch die selbstproduzierten. Nicht von ungefähr sorgten deshalb „Ruf der Heimat“ am Donnerstag für ein ordentliches Getöse, das jedem Musikantenstadler in die Glieder gefahren wäre.

Der Schlagzeuger Willi Kellers sorgte für sofortige Vibrationen im Zwerchfellbereich. In diesem Fall von einem Rhythmusteppich zu schreiben, wäre verfehlt, Kellers ließ eher einen Trommelsturm durch Saal brausen. Bassist Christoph Winckel entfesselte parallel dazu einen zweiten Wirbelwind. Mal schnellte sein Bogen über die Saiten, zwang sie zu wimmern, ächzen oder entlockte dem Instrument- elektronisch verfremdet – aufgeregtes Stimmengewirr, mal schlug er die Saiten hart an, ließ sie in den Tiefen rrrollend vibrrrieren, für kurze Momente schob er swingende Walking-Bass-Läufe ein. Der Baß-Trommel-Blizzard fegte in böigen Wellen durch den Raum, darin tönten die Saxophone von Peter Brötzmann und Thomas Borgmann wie Sturmschwalben. Vorwiegend aber nicht ausschließlich in expressiver Free Manier.

Kein anderer Saxophonist bläst so ausdauernd mit soviel Kraft und Energie wie Brötzmann. Mit Brötzmann hätte Joshua vor Jericho auf seine Posaunen verzichten können. Gigantisch wieviel Feuer der Wuppertaler nachwievor hat und wie er das Wechselspiel von gezügelter und ungezügelter Expressivität beherrscht.

Daneben mußte Borgmann einfach ein wenig verblassen. Er wirkte - zumindest am Donnerstag - am Tenorsaxophon weniger prägnant als auf dem Sopranino. Dem entlockte er näselnde, leicht eiernde Tonschrauben, die sich im Dialog mit Brötzmanns Klarinette zu nervösem Geschnatter steigerten. Der atonale Sturm, den „Ruf der Heimat“ in den Weserterrassen entfachten, sorgte bei den etwa vierzig ZuhörerInnen für adäquate Reaktionen, sie duckten sich nicht weg, sondern hielten die Ohren in den Wind und zwangen die vier Musiker zu zwei Zugaben.

Arnaud