Sanssouci
: Nachschlag

■ Korrespondenzen: 14 Künstler aus Chicago und Berlin

Lisa Schmitz hat sich einen Raum gebaut, in dem sie hinter einer Glasscheibe sitzt. Der Ausstellungsbesucher kann mit ihr telefonieren; falls er aber zu nah an ihren Bau tritt, wird das intelligente Priva-Lite-Glas milchig-undurchsichtig: Ein sanfter Weg, den anderen auf Abstand zu halten. Und vielleicht symptomatisch für die vierte Folge von Korrespondenzen, einer Ausstellungsform, die die Berlinische Galerie fand, die heimische Kunst in der Konfrontation mit der Kunst anderer Städte zu präsentieren; gegenwärtig ist also Chicago der Partner.

Die vorgestellten Arbeiten zeigen respektheischendes Niveau, sie sind geradezu sublim, wohldurchdacht in ihrer ästhetischen Ausformulierung als Installation, Tafelbild oder Fotoarbeit. Nichts ist schrill, grell; es sind gedankenvolle, politisch korrekte, ernsthafte, aber auch ein bißchen verlorene Stadtseelen, die sich hier zeigen.

Wenn Jeanne Dunning Haut fotografiert, schwarzweiß, merkwürdig obszön um ein Loch gefaltet, dann bildet dies – entgegen unseren überschießenden Körperphantasien – nur die geballte Faust an Daumen und Zeigefinger. Und Iigo Manglano-Ovalles „Balsero/Bootsmann“ ist kein politisches Pamphlet. Seine Installation aus rettenden Gummischläuchen und Video-Monitoren ist durch Stahlseile vernetzt, die mit „San Diego“, „Miami“, „Havanna“, „Port-au-Prince“ oder „Guantánamo“ bezeichnet sind. Respektvolle Distanz erschließt auch die Motive der Natur: Julia Fish thematisiert in ihren kleinformatigen Leinwänden Malerei und Alltagsblick. Das Wetter, der „Frost“, ist gegenständliches Abbild im abstrakten Pinselstrich-Rauhreif, während Klaus Hoefs' Feld-, Wald- und Wiesenstücke wie durch einen Grünfilter fotografiert scheinen. Seine schmalen Holzplatten mit Kohlezeichnungen auf einem tiefgrünen Acrylgrund lassen sich beliebig aneinanderstecken. Rot und düster dagegen die Fingerfotografien von Thomas Florschuetz, der momentan ein Abonnement auf jede Berliner Ausstellung zu haben scheint. Wie seine Arbeiten sind auch alle anderen konzeptionell und formal komplex: Ute Weiss-Leders „Schachspiel“, dem mehrere Zeichensysteme inhärent sind, Charles Wilsons Schießbuden-Installation „Joe Louis vs. Max Schmeling“, Kerry James Marshalls Historienmalerei mit schwarzen Menschen oder Dan Petermans Plastik-Recyling, dem die Schönheit von Raimund Kummers Murano-Glas-Auge im Gumminetz quer entgegensteht. Sie sind alle echte world traveller, die nirgendwo auf Widerspruch stoßen werden, provinzielle Macken haben sie keine. Die haben die Städte, aus denen diese Kunst stammt, aber sehr wohl. Berlin gefällt sich nicht, das spürt man allenthalben. Aber niemand will offensichtlich die bösen Geschichten über Berlin erzählen. Das mythenhaft böse Chicago dagegen hat das Problem, die Stadt hinter New York zu sein. Auch, was die Kunst betrifft. Aber auch hier will niemand an der Wunde rühren oder mal kräftig kratzen, wie dies vor zwei Jahren Los Angeles mit der robusten Attitüde des Parvenüs tat. Das Bekenntnis zu einer monströsen Stadt gebar monströse „Helter Skelter“-Kunst, die, regional verankert, als identisch mit L.A. und different zu allen anderen Orten, als besondere wahrgenommen werden mußte. Ein bißchen was davon hätte Berlin/Chicago gutgetan. Brigitte Werneburg

Bis 22. 1., Berlinische Galerie, Stresemannstraße 110.