Keinen Kanzler hinter Mauern

■ Beim Bau des Bundeskanzleramtes setzt Bonn mehr auf Sicherheit als auf Stadtplanung / Jury prüft Bau-Entwürfe

Über die Bebauung einer grünen Brache mit gesamtstädtischer Bedeutung wird in dieser Woche die Entscheidung getroffen: Für den Neubau des Bundeskanzleramtes im Tiergarten prüft heute und morgen eine Jury aus Architekten und Politikern 51 Entwürfe deutscher und europäischer Planer, die nach einem Auswahlverfahren mit insgesamt 260 Büros im Rennen blieben. Der Gewinner des Realisierungswettbewerbs für den Gebäudekomplex am westlichen Ende des sogenannten „Bundesbandes am Spreebogen“ mit rund 19.000 Quadratmetern für 500 Mitarbeiter soll am Mittwoch gekürt werden.

Die genaue Nutzung des Areals und seiner unmittelbaren Umgebung ist zwischen Berlin und dem Bund umstritten. Die Berliner Adresse des Kanzlers sei eine zutiefst berlinerische mit öffentlichen Ansprüchen, sagen Senatsplaner. So stehen einem Spreeuferweg die Sicherheitsinteressen des neuen Amtssitzes entgegen, weil die Verbindung des Kanzlergartens über die Spree hinweg den Uferweg kreuzen und damit verhindern würde. Das Kanzleramt läge dann innerhalb der 50-Meter-Handgranatenwurf-Abstandszone. „Wenn der Kanzler im Garten herumflaniert“, so der zuständige Sachbearbeiter bei der Bundesbaudirektion, Zotner, „müßte der Weg unterbrochen werden.“

Ebenfalls Berliner Interessen berührt die Erschließung des Kanzleramtes. Von den beiden Zufahrtswegen soll die nördliche Allee als Vorfahrt dienen. Offen dagegen bleibt, ob die südliche Anbindung – die verlängerte Paul- Löbe-Straße – weiter genutzt werden kann. Auch hier wünscht der Bund die Schließung aus Sicherheitsgründen, während sich der Berliner Senat für die weitere Nutzung ausspricht. Die Wettbewerbsjury (mit den Architekten Gustav Peichl und Theo Brenner, Kanzleramtschef Friedrich Bohl und Baudirektor Hans Stimmann) wird auch darauf zu achten haben, daß es „keinen Kanzler hinter Mauern gibt“, wie der Architekt Axel Schultes, Gewinner des Spreebogen-Wettbewerbs 1992, forderte. Eine „kompakte Trutzburg“, so Zotner, sollte darum möglichst vermieden werden.

Das Kanzleramt entsteht auf dem Grundstück des ehemaligen preußischen Generalstabs, das später als Standort für das Deutsche Historische Museum vorgesehen war. „Totale Vorgabe“ (Zotner) für den rund 260 Millionen Mark teuren Neubau bleibt der modifizierte städtebauliche Entwurf von Axel Schultes für die Parlaments-Planungen im Spreebogen. Der lange Ost-West-Riegel mit Regierungsbauten vom Bahnhof Friedrichstraße über den Spreebogen bis zum Moabiter Werder, auf dessen westlicher Seite das Kanzleramt liegen wird, wurde auf 102 Meter verbreitert. Der Neubau auf dem sechs Hektar großen Gelände, so Zotner, dürfe die Berliner Traufhöhe von 22 Metern nicht überschreiten. Mit dem Bau des Gebäudes soll 1997 begonnen werden. 1999 wäre es für den siebten Bundeskanzler bezugsfertig. Rolf Lautenschläger