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Der Traum vom Schatzi in Speyer

Zur Touristensaison drängeln sich in Recife die Prostituierten auf der Suche nach dem Märchenprinzen aus der Alten Welt / Nicht alle können es sich leisten, Freier ohne Präservativ zurückzuweisen  ■ Aus Recife Astrid Prange

Brasilianer haben bei ihr keine Chance. Juliana*, fünfundzwanzig Jahre, hofft auf die Erlösung durch einen Märchenprinzen aus der Alten Welt. Nicht, daß es ihr an Liebhabern mangelte. Julianas Ahnengalerie, im Format neun mal dreizehn über ihrem Etagenbett an die Wand gepinnt, hat beträchtliche Ausmaße angenommen. Doch weder Klaus aus deutschen Landen noch der Italiener Sandro erwiderten ihre Gefühle langfristig. Jetzt setzt die professionelle „Gringo“- Begleiterin auf den tätowierten Märchenprinzen Werner aus Österreich.

Zwölftausend Prostituierte warten zu Beginn der Sommersaison im Dezember auf die vier „Bumsbomber“, die wöchentlich aus Europa in der nordostbrasilianischen Stadt Recife landen. „Die Mädchen kommen aus allen Ecken und Enden, im Sommer wimmelt es nur so von Prostituierten“, erklärt Sandra Dias von der Gruppe „Coletivo Mulher Vida“, einer brasilianischen Organisation, die die rund dreitausend Mädchen betreut, die im Bereich des Sextourismus arbeiten. Mit Hilfe von Spendengeldern der „Aktion Solidarische Welt“ aus Berlin hat die Gruppe eine kleine Wohnung in unmittelbarer Nähe des Strandes „Boa Viagem“ angemietet. Die Mitglieder des Kollektivs klären die Mädchen über Probleme wie Aids oder ungewollte Schwangerschaften auf und bieten Kurse in Deutsch und Englisch an.

„Kein Kondom, kein Fick“, sagt Claudia auf deutsch

Die Bemühungen scheinen gefruchtet zu haben. „Kein Kondom, kein Fick Fick“, demonstriert Claudia da Cruz ihre Deutschkenntnisse. Die Einundzwanzigjährige ist vor zwei Tagen von einem sechsmonatigen Aufenthalt bei ihrem „Schatzi“ in Speyer zurückgekehrt. Ihr üppiger Busen quillt aus einem enganliegenden schwarzen Oberteil hervor, der Rauch ihrer morgendlichen Zigarette streicht über die Brustwarze, die aus dem Top hervorlugt. Solange ihr Verehrer Gerhard Amboß ihr kein neues Flugticket zukommen läßt, muß das Mädchen aus dem nordöstlichen Bundesstaat Ceara alleine ihren Lebensunterhalt verdienen, stets mit einem Kondom in der Handtasche. Schon zweimal, sagt Claudia, hat sie deswegen einen Kunden verloren.

Nicht alle „Programm-Mädchen“, wie sich die Prostituierten für ausländische Touristen selber nennen, sind in dieser Hinsicht so eisern. „Wenn sie den Mann schon kennen und sich verliebt haben, lassen sie das Kondom weg“, weiß Betreuerin Sandra Dias. Bis jetzt hat noch keine der sechs Frauen, die in der kleinen Wohnung hinterm Strand zusammenleben, eine aidskranke „Kollegin“ kennengelernt. „Sie glauben nicht daran, daß sie gefährdet sind“, erklärt Sandra Dias. „Sie sind auf der Suche nach einem Märchenprinzen.“ Schwangerschaftsverhütung ist dabei eine pure Glücksfrage. „In Wirklichkeit“, so weiß Sandra Dias, „machen die Mädchen eine heimliche Abtreibung nach der anderen.“

Heimlich ist das ganze Leben der „Programm-Mädchen“. Den Eltern versichern die Ausreißerinnen, daß sie im Hotel arbeiten. Paula Marcelina aus Recife besucht ihre Mutter einmal pro Woche und steckt ihr heimlich Geld zu, ohne daß es der ihr verhaßte Stiefvater bemerkt. Ihrem kleinen Bruder spendiert sie Eis und lädt ihn zu Ausflügen ein. „Ich habe auch schon richtig gearbeitet, als Verkäuferin im Einkaufszentrum“, rechtfertigt sich die Neunzehnjährige. Doch was sie dort in zwei Wochen verdiene, rund achtzig Mark, verlange sie heute pro Nacht. „Manchmal sind die Männer sehr kalt, sie wollen nur Sex, dann gehe ich kein zweites Mal mit ihnen aus“, sagt sie mit gesenktem Blick. Überhaupt schaffe sie nicht des Geldes wegen an. „Ich möchte wirklich jemanden treffen.“

Von dieser Illusion haben sich die Straßen-Prostituierten im Zentrum von Recife schon verabschiedet. Der Preis für ein Programm in der dunklen Hafengegend liegt bei acht Mark, wer fernab vom gepflegten Strand „Boa Viagem“ anschafft, kämpft ums Überleben. Joana da Silva, achtzehn Jahre, fertigt pro Nacht fünf Freier ab, obwohl sie im vierten Monat schwanger ist. Sie fühlt sich „dreckig“, doch die Prostitution erschien ihr die einzige Möglichkeit, „selbständig“ zu sein. Joana gehört zu der Gruppe von rund tausend Prostituierten, die von der Nichtregierungsorganisation „Casa da Passagem“ betreut werden. Nächstes Jahr, versichert die werdende Mutter, werde sie an einer der Berufsschulungen teilnehmen, die die Organisation anbietet, und sich zur Köchin oder Näherin ausbilden lassen.

Nach einer von der „Casa de Passagem“ 1993 in Auftrag gegebenen Umfrage zum Thema Aids und Sexualität unter 254 Mädchen aus armen Verhältnissen zeigten sich die Jugendlichen informiert und sorglos zugleich. Zwar hatten alle schon einmal im Fernsehen von Aids gehört. Die Mehrheit wußte auch, daß das Virus über Blutkontakt oder Geschlechtsverkehr in den Körper gelangt. Daß es sich bei der Immunschwäche um ein tödliche Krankheit handelt, deren Symptome nicht unmittelbar nach der Infektion auftreten müssen, war jedoch nur wenigen Frauen bekannt. Von den Mädchen, die als Prostituierte arbeiten (55), waren alle mit dem Gebrauch von Kondomen vertraut. Nicht bei jedem Kunden jedoch bestehen die Prostituierten darauf. „Das Problem sind die Männer. Für eine Nummer ohne Kondom zahlen sie das Doppelte“, erklärt Maria das Gracas Braga Pires. Die Ärztin, die in der „Casa da Passagem“ in Recife arbeitet, macht in erster Linie die Tabuisierung und die Doppelmoral verantwortlich, die das Thema Sexualität umgeben: „Die Mädchen haben Angst, zu einem Frauenarzt zu gehen oder einen Gesundheitsposten aufzusuchen und dort nach Kondomen zu fragen. Sie werden sofort als Nutten abgestempelt“, weiß die Ärztin aus eigener Erfahrung.

Kostenlose Kondome sind echte Mangelware

Doch auch wenn die Hemmschwelle einmal überwunden ist, erweist sich der Weg zum Gesundheitsposten oft als unnütz. Denn in der Praxis ist das in der brasilianischen Verfassung verankerte Anrecht auf kostenlose Familienplanung ein frommer Wunsch, und gratis verteilte Kondome sind Mangelware. In der Apotheke aber kostet ein Präservativ rund einen US-Dollar – zu viel. „Wir bekommen von der brasilianischen Regierung umgerechnet 160.000 Mark im Jahr für die Anschaffung und Verteilung von Kondomen. Bei einem monatlichen Bedarf von mindestens zehntausend Präservativen ist das zu wenig“, rechnet die Ärztin Maria Pires vor. Anläßlich des internationalen Aids-Tags ließ das brasilianische Gesundheitsministerium der Organisation noch eine zusätzliche Lieferung von 36.000 Kondomen zukommen – ein „willkommener Tropfen auf den heißen Stein.“

Zuwenig Aufklärung, nur mißratene Kampagnen

Bis jetzt sind der Ärztin im Milieu der Straßenprostitution vier Fälle HIV-infizierter Frauen bekannt. „Wenn der HIV-Test positiv ausfällt, tauchen die Mädchen unter“, beschreibt Maria Pires die Angst vor der gesellschaftlichen Ausgrenzung. Die wirklichen Zahlen würden von den Behörden bewußt nicht veröffentlicht.

Ana Brito vom Sekretariat für Gesundheit im Bundesstaat Pernambuco räumt ein, daß weder der Bund noch die Landesregierung sich bisher ernsthaft um eine kontinuierliche Aufklärungsarbeit bemüht hätten. „Bis jetzt blieb es bei isolierten Einzelaktionen wie zum internationalen Aids-Tag oder mißratenen Kampagnen unter dem Motto ,Wenn du dich nicht vorsiehst, bekommst du Aids‘“, ärgert sich die Beamtin.

Nach offiziellen Angaben wurden seit 1987 im Bundesstaat Pernambuco 1.316 Aidserkrankungen registriert. Zwei Drittel aller Fälle konzentrieren sich auf die Landeshauptstadt Recife. Achthundert HIV-Infizierte sind bereits gestorben. „Wir sind ungefähr sechs Jahre hinter São Paulo und Rio de Janeiro hinterher“, interpretiert Ana Brito die relativ niedrigen Zahlen. Während in Rio de Janeiro täglich vier Aids-infizierte Kinder zur Welt kommen, beschränkt sich die Verbreitung des HI-Virus unter Neugeborenen in Pernambuco auf insgesamt 37 Fälle.

Beim brasilianischen Gesundheitsministerium waren bis zum 3. September dieses Jahres genau 55.894 Aidskranke registriert. Vorsichtigen Schätzungen zufolge tragen rund eine halbe Million Brasilianer, davon fünfzehntausend im Bundesstaat Pernambuco, das tödliche Virus in sich, viele, ohne es zu wissen. „Selbst wenn bis zum Jahr 2005 niemand mehr infiziert wird, wächst die Zahl der Aidskranken auf 8,3 Millionen Opfer“, rechnete die Weltbank zum internationalen Aids-Tag am 1. Dezember vor.

„Recife ist bis jetzt von der Epidemie verschont geblieben, weil es nicht auf der klassischen Verkehrsroute für den Drogenhandel liegt“, lautet die These Ana Britos. In Pernambuco, größter Hanf-Anbauer Brasiliens, werde traditionell Marihuana geraucht, Kokain oder andere schwere Drogen seien nicht so stark verbreitet wie im Süden des Landes. „Der Kokain- Zyklus deckt sich statistisch mit Aids-infizierten Drogenabhängigen“, hat die Beamtin aus dem Gesundheitssekretariat beobachtet. In Pernambuco jedoch gäbe es nur wenige Abhängige, die sich den Stoff direkt in den Venen spritzten. „Hier beruhen 83 Prozent aller Fälle auf sexueller Übertragung“, erklärt Ana Brito. Die Gefahr sei der heterosexuelle Macho aus der Mittelschicht, der sich keiner Risikogruppe zugehörig fühle.

Wie bei den Mädchen, die am Strand von „Boa Viagem“ anschaffen, handeln auch die Männer unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit. „Im Landesinneren sucht der Ehemann für einen Seitensprung eine Prostituierte auf, die ihren Beruf nur nebenbei ausübt“, beschreibt Ana Brito die typische Verhaltensweise der „Pernambucanos“. Der Machismus im Nordosten Brasiliens sei so stark, daß sogar Homosexuelle aus Angst vor Diskriminierung heiraten würden. Die Frauen machten das Spiel mit, „denn eine Frau ohne Mann ist hier nichts wert“.

Die Prostituierten von „Boa Viagem“ wissen das nur zu gut. „Als Frau ist es schwierig, heutzutage ein unabhängiges Leben zu führen. Ich ziehe ein gemeinsames Leben mit Gerhard vor“, erklärt Claudia da Cruz desillusioniert. Daß der achtunddreißigjährige Heilpraktiker aus Speyer sie im Suff grün und blau schlägt, nimmt sie in Kauf. „Wenn er trinkt, verwandelt er sich in einen anderen Mann. Aber danach verliebe ich mich wieder neu“, schwört sie.

Juliana aus Caruaru klammert sich an das erfolgreiche Beispiel ihrer jüngeren Schwester Georgia. Die beiden Schwestern kamen vor einem Jahr aus dem Landesinneren nach Recife, um ihr Glück bei den „Gringos“ zu versuchen. Die zwanzigjährige Georgia wurde bereits nach zwei Tagen in einem Einkaufszentrum von einem Österreicher abgeschleppt. Neidisch zeigt Juliana die Fotos mit dem glücklichen Gesicht ihrer Schwester in den schneebedeckten österreichischen Alpen. Statt sexhungrige Touristen zu verführen, bedient sie nun Skiurlauber in dem Hotel ihres Ehemannes. Juliana hingegen schmort weiter im tropischen Touristenparadies. Für Märchenprinzen aus der Alten Welt, das lehrt die Erfahrung auf dem Strand-Strich, ist sie beinahe schon zu alt.

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