Abschied vom Liebgewonnenen

■ Weiche Linien statt harte Fronten: Rathausdebatte um Stadthaushalt 95 bricht mit Stereotypen / Voscherau pirscht sich an die GAL ran Von Uli Exner

Müssen Haushaltsdebatten der Bürgerschaft langweilig sein? Längst bekannte Fakten wiederkäuen bis zum Abwinken? Überkommene Rituale ohne jeden Neuigkeitswert? Nein! Die gestrige Generaldebatte zum Stadtetat 1995 beweist das Gegenteil. Zumindest die erste Reihe der Hamburger Polit-Klasse lieferte gestern Nachmittag News, News, News und durchkreuzte in Monaten und Jahren liebgewonnenen Rathaus-Gleichungen. Zum Beispiel:

Generaldebatte = Schlammschlacht. Vorbei die Zeiten rüder Redeschlachten. Hamburgs PolitikerInnen sind nett zueinander. Senatschef Voscherau dankt Ex-GAL-Fraktionschefin Krista Sager, spricht ihren Nachfolger in spe vorzugsweise mit –Lieber Willfried Maier– an. Der returniert mit einer höchst sachlichen Kritik am 18 Milliarden-Defizithaushalt der rotgrauen Stadtregierung, plädiert leise für ökologischen Umbau statt sozialem Abbau. Und findet für letzteres einen Mitstreiter in CDU-Oppositionschef Ole von Beust, der weder der GAL noch der SPD weh tun möchte. Sogar SPD-Wadenbeißer Günter Elste umsäuselt „Ole“ und „Krista“.

Voscherau + GAL = Hund + Katze. Der Bürgermeister nähert sich auf Samtpfoten. Mitten in seiner Haushaltsrede, das Kapitel „II. Solide Regierungsarbeit in stürmischem Umbruch“ ist gerade beendet, nuschelt Voscherau dem „lieben Willfried Maier“ sybillinisch Folgendes zu: Die GAL möge doch mit Blick auf die Bürgerschaftswahlen 1997 recht froh sein, daß der rotgraue Senat Großprojekte wie Elbtunnelröhre, Müllverbrennungsanlage oder Umgehung Fuhlsbüttel so zügig verwirkliche. „Stellen Sie sich vor, diese Dinge sind dann noch auf dem Tisch.“ Auf der Rathausempore streuen eifrige Voscherau-Mitarbeiter derweil die Deutung der Bürgermeister-Worte: Rotgrün könnte Voscherau 1997 doch noch sympathisch werden.

Einmal Opposition = immer Opposition. Ein Rhetorikkurs könnte nicht schaden – aber sonst? Ole von Beust, Fraktionschef der Christdemokraten, feilt an einer Regierungserklärung. Wirtschaftsförderung, Standortpolitik, ganz stramm, wie's sich für einen Christdemokraten gehört. Dann aber ungewohnte Töne: Soziale Sicherheit, quartiersnahe Arbeitsplätze, Dezentralisierung. Da versucht einer, das Spektrum der CDU weit auszudehnen und überholt die Hamburger SPD auf der linken Spur: Deren „Politik der sozialen Kälte“ habe mit „Sozialdemokratie nichts mehr zu tun“. Ob Helmut Kohl auf Beust hört, bleibt unklar. Aufgemerkt hat allerdings SPD-Fraktionsboß Elste.

CDU + GAL = Gespensterdebatte. Jedenfalls nicht für Elste. Der widmet ein knappes Drittel seiner Haushaltsrede einem möglichen schwarzgrünen Bündnis. Beruhigend für Freunde parlamentarischer Kontinuität: Die übrigen zwei Drittel seiner Redezeit verwendet Elste pflichtgemäß auf Senatslob einerseits und die Hafenstraße andererseits. Letzteres Thema müsse „endlich abgeschlossen“ werden. Erst vom Senat, dann von der Bürgerschaft. Wie, sagt er auch, zwar nicht deutlich, aber unmißverständlich: Räumen.

Voscherau = Hamburgs Kohl. Auch dieses Vorurteil trifft sich nicht mit der Wirklichkeit. Im Gegensatz zum Bundeskanzler liest Voscherau, wie er mit ausführlichen Zitaten unter Beweis stellt, gelegentlich auch ihm nicht auf Anhieb gewogene Blätter. Die taz hamburg zum Beispiel, und dort besonders gern die Artikel unseres Redakteurs Florian Marten.