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Gerangel um den Alten Schlachthof

■ Autofrei wohnen wollen hier manche, andere vor allem Gewerbe betreiben / Doch noch streiten Bezirk und Senatsverwaltung um die Zuständigkeit für das über 50 Hektar große Areal an der Eldenaer Straße

Bürgerbeteiligung hatte der Senat erbeten. Gefragt waren vier Wochen lang Meinungen, Ideen, Widersprüche zu den Plänen und Modellen des „Alten Schlachthofs“. Wo einst Schweine und Rinder zerlegt wurden, soll in den kommenden zehn Jahren ein völlig neuer Stadtteil entstehen: 2.500 neue Wohnungen, 5.000 Arbeitsplätze.

Ende November schloß die Ausstellung des Senats in der ehemaligen Direktionsvilla des Schlachthofes, in der Thaerstraße, die Pforten. „Etwa 150 Bürger und Bürgerinnen, überwiegend aus den angrenzenden Wohngebieten, haben die Ausstellung besucht und dort ihre Meinung geäußert“, teilte die zuständige Stadtentwicklungsgesellschaft Eldenaer Straße (SES) mit. Grundtenor der BürgerInnen: Vom Prinzip her begrüßen wir das Vorhaben, kritikwürdig ist das Verkehrskonzept.

„Wohnungsmieter für autofreies Stadtviertel gesucht“, wandte sich im Sommer dieses Jahres die Initiative „Leben ohne Auto“ an die BürgerInnen von Berlin. Das Areal lockte, auszubrechen aus Stau und Keuchhusten auf einer Fläche von über 50 Hektar mitten in der City – an der Eldenaer Straße in Prenzlauer Berg. Doch der Traum vom „autofreien Stadtviertel“ scheint hier wohl ausgeträumt.

Noch 1992 hatte das Bezirksamt Prenzlauer Berg die Idee, bei den Planungen auch die Variante autoarmen Wohnens anzubieten, voll unterstützt. Favorisiert wurde im Herbst 1993 letztlich ein Entwurf, der u.a. auf Parkplätze verzichtete, keine Tiefgaragen vorsah, von schmalen Straßen und einem guten Anschluß an das öffentliche Personennahverkehrs-Netz ausging. Die Planungen des Entwicklungsträgers SES drängten die Vorstellungen von „Leben ohne Auto e.V.“ jedoch mehr und mehr ins Abseits.

Nur eines der drei auf dem Territorium entstehenden Wohngebiete soll noch autoarm bebaut werden und auch nur dann, so der SES-Standpunkt, wenn die Befürworter autofreien Wohnens einen Investor finden. Doch gerade an das von der Stadtentwicklungsgesellschaft vorgeschlagene Gebiet grenzt die Thaerstraße. Bisher eine Sackgasse, die in eine Fußgängerbrücke über den S-Bahn-Graben mündet, die jedoch ausgebaut werden und – mit einer neuen Brücke versehen – die Bezirke Lichtenberg und Friedrichshain verbinden soll. Bei der zu erwartenden Autoflut wäre ein angrenzendes autofreies Gebiet absurd.

Inzwischen ist eine weitere Interessengruppe mit geballter Kraft an die Öffentlichkeit getreten: rund 60 Betriebe, die auf dem bislang gewerblich genutzten Gelände des Schlachthofes ansässig sind und die Umwidmung des Entwicklungsgebietes in ein reines Gewerbegebiet favorisieren. Sie müßten in der Mehrzahl dem geplanten Wohnungsbau weichen oder würden, wenn sie in den Wendewirren Eigentum bilden konnten, mit 310 Mark pro Quadratmeter abgefunden werden. Die von ihnen gegründete Betroffenenvertretung wird gegen die Verdrängung ihrer Betriebe notfalls auch mit Rechtsmitteln vorgehen.

Bezirksamt und der Rat der Bürgermeister sprachen sich wegen dieses Gerangels Ende November dafür aus, die Planungen für den „Alten Schlachthof“ in die Zuständigkeit des Bezirks zurückzuholen. Der Senat entschied jedoch, das Verfahren bei Bausenator Wolfgang Nagel zu belassen. Begründet wurde dies mit der außergewöhnlichen städtebaulichen Bedeutung des ursprünglich für das olympische Mediendorf 2000 auserkorenen Areals. Bei 551 Millionen Mark veranschlagten Gesamtkosten würden 263 Millionen vom Land Berlin bezahlt. Das letzte Wort muß nun das Abgeordnetenhaus sprechen. Eine Entscheidung noch 1994 wird es allerdings nicht geben. Kathi Seefeld

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