■ Buchtip
: Fibel für Anfänger

Faruk Șen ist Leiter des in Essen ansässigen Zentrums für Türkeistudien. Andreas Goldberg ist Geschäftsführer desselben Instituts. Beide haben im Beck-Verlag das Buch „Türken in Deutschland – Leben zwischen zwei Kulturen“ herausgebracht. Das Buch bestätigt die Erwartungen, die Titel und Klappentext bei den Lesern hervorrufen: Auf dem Umschlag ist ein türkisches Lebensmittelgeschäft abgebildet. Auf dem Klappentext fehlt nicht der politisch korrekte Hinweis auf die Ausschreitungen gegen Ausländer.

Das Zentrum für Türkeistudien in Essen ist für seine solide wissenschaftliche Arbeit, sein Faktenmaterial bekannt. Hier erhält man die zuverlässigsten Statistiken über das Leben der Türken in Deutschland zwischen Schulausbildung und Wahlverhalten. Die Autoren greifen selbstverständlich auf diesen Fundus zurück. Die Daten im Buch sind aktuell. Hier beginnen dann aber auch die Schwächen dieser Arbeit. Wer die Untersuchungen des Zentrums bereits aus der Presse kennt, kann das Buch schon fast beiseite legen. Alles in allem ist diese Veröffentlichung eine Fibel für Anfänger. Der Leser erfährt beispielsweise Auflagenhöhe und politische Orientierung türkischer Tageszeitungen in Deutschland. Doch kaum etwas darüber, welchen zum Teil zweifelhaften Beitrag diese Zeitungen zur Isolation ihrer Leser hierzulande leisten. Die sparsamen Informationen zum Islam kann man anderswo fundierter und ausführlicher lesen. Ein Beitrag über eigenständige türkische Kultur in Deutschland fehlt gänzlich.

Die knappe Einschätzung zur Zukunft der türkischen Minderheit in Deutschland geht mit ihren Entwürfen über den falschen Tenor des Untertitels „zwischen zwei Kulturen“ nicht hinaus. Leben mit zwei oder mehr Kulturen als Motto, hätte der komplizierten deutschen Wirklichkeit allerdings mehr entsprochen. Doch diese findet in diesem schmalen Band kaum Platz.

Überhaupt kommen deutsche Verlage mit ihren Publikationen zum Thema „Türken in Deutschland“ selten über erste Informationen hinaus. Auch nach fast 40jähriger Anwesenheit in Deutschland müssen die Türken – so der Anschein – erst einmal beschnuppert werden. Man weiß offensichtlich nicht viel voneinander, man lernt sich immer wieder erst kennen.

Die besprochene Studie macht dennoch deutlich, daß Türken bereits in der dritten Generation in Deutschland leben und ein fester Bestandteil dieses Landes geworden sind. Deshalb darf „Ausländerpolitik in Deutschland nicht lediglich Ausländerbeschäftigungspolitik bedeuten, sondern muß sich endlich zu einer Integrationspolitik entwickeln ...“.Zafer Șenocak

Faruk Șen, Andreas Goldberg: „Türken in Deutschland“, Beck'sche Reihe, 1994, 144 S., 16,80 DM