Vom Establishment zum Staatsfeind

Ismet Imset war in der Türkei als Journalist etabliert – bis die Armee die Unterstützung der Medien für den Krieg in Kurdistan einforderte / Imset verweigerte – heute gilt er als Verräter  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Jahrelang war Ismet Imset Redakteur der einzigen englischsprachigen Tageszeitung in der Türkei, der Turkish Daily News. Ein von den Politmagazinen im türkischen Fernsehen begehrter Gesprächspartner, ein bürgerlicher Journalist, der von den türkischen Politikern hofiert wurde. Er galt als Experte in der Kurdenfrage. Sein vor zwei Jahren auf englisch und türkisch veröffentlichtes Buch über die kurdische Guerilla PKK wurde massenhaft von den Botschaften in Ankara geordert, und die türkischen Politiker verschlangen das Buch als Pflichtlektüre.

Als die PKK im Frühjahr vergangenen Jahres mit der Ankündigung eines einseitigen Waffenstillstandes die türkische Politik verwirrte, bestellte der damalige Ministerpräsident und jetzige Staatspräsident Süleyman Demirel Ismet Imset zu einer Kabinettssitzung. Die Kabinettsmitglieder lauschten interessiert dem Briefing des Experten. Der Journalist Ismet Imset gehörte zum Establishment.

Der Starjournalist von einst ist heute zum Feind des Regimes erklärt und als „Vaterlandsverräter“ abgestempelt. Wüste Beschimpfungen gehen an seine Adresse: „Agent der Briten, CIA-Mann“. Der Chefredakteur der Daily News, Ilnur Cevik, denunziert Imset, der vor wenigen Monaten noch als London-Korrospondent der Zeitung arbeitete, als einen „paranoiden, kranken PKK-Mann“: „Demirel hatte mir schon immer gesagt, daß dieser Mann ein PKK- Sympathisant ist. Heute ist es offenkundig.“

Weil Imset als gewissenhafter Journalist einfache Wahrheiten in Kurdistan nicht verschweigen wollte, ist er zum Staatsfeind, zum Kriminellen, erklärt.

Unverblümt gibt der Chefredakteur Ilnur Cevik zu, was wirklich geschehen war: Nach dem Amtsantritt der türkischen Ministerpräsidentin Tansu Çiller lud der Generalstab des Heeres alle Zeitungsverleger und Chefredakteure zu einer Sitzung ein und ordnete an, daß die Medien im „Psycho-Krieg gegen die PKK“ Hilfe leisten müssen. „Alle Zeitungen haben am nächsten Tag ihre Publikationspolitik geändert“, gesteht Cevik.

„Schreib über Lady Di, nicht über Kurden!“

Imset wollte sich nicht unterordnen, es kam zu Konflikten. Endgültig zog er sich den Zorn der türkischen Behörden zu, als er bei einer USA-Reise im Sommer dieses Jahres vor dem Helsinki Watch Komitee in den USA über Menschenrechtsverletzungen und die Lage in Kurdistan berichtete. Nach seiner Rückkehr in die Türkei erhielt er Morddrohungen. Imset wußte, daß die Drohungen ernst zu nehmen waren.

Es war buchstäblich eine Flucht, als Ismet Imset Anfang Juli als Auslandskorrespondent der Daily News nach London ging. In der Ferne sollte er zum Schweigen gebracht werden. „Schreib über Lady Di, statt über Kurden“ hieß es. Im Oktober kündigte Ismet Imset. Seit einem Monat schreibt er Kolumnen für die prokurdische Tageszeitung Özgür Ülke.

Seine Kolumnen sind eine Art Generalabrechnung mit dem türkischen Staat, der mit Gewalt und Terror versucht, den kurdischen Aufstand niederzuschlagen: „Wie lang können wir noch schweigen. Wenn die Tage kommen, wo, mit Ruanda oder Indonesien vergleichbar, das Wasser des Euphrat mit Blut getränkt ist, ist es zu spät.“

Mehrfach reiste Imset in die kurdischen Regionen. Er schreibt über Geschehnisse, die er bislang kaum veröffentlichen durfte. „Ihr habt nicht die Offiziere gesehen, die auf Befehl von Ankara ein Dorf evakuieren und abbrennen lassen und sich anschließend mit Tränen in den Augen fragen, warum sie es getan haben. Ihr habt nicht die Gouverneure gehört, deren Provinz von Soldaten in Schutt und Asche gelegt wurde, die die Journalisten anflehten ,Schreibt die Wahrheit‘. Ihr wißt nicht, daß die Falken, die behaupten, daß sie Abdullah Öcalan (den Führer der PKK) nicht als Gesprächspartner anerkennen, ihm im vergangenen Jahr geheime Nachrichten zusandten.“

Imset, der öfter mit Staatspräsident Süleyman Demirel Gespräche führte, erinnert sich an ein Essen im Präsidentenpalais. Er habe referiert, daß die Kurden den Terror ablehnten. Ihre einzige Forderung sei Demokratie. Doch Demirel habe nur Verachtung für die Kurden übrig: „Was redest du von Demokratie. Sie können es nicht fordern. Sie wissen doch nicht, was Demokratie ist.“