„Erstunken und erlogen“

■ Wie sich die Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft verteidigt / „Asbest – die geleimten Opfer“ (6)

Sie sind der Feind Bremer Asbestkranker, aber auch ...

Wito Hadré, Geschäftsführer der Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft: Völlig ungerechtfertigt!

... aber auch die beiden Landesgewerbeärzte sind sauer, weil Sie längst nicht alle ihrer Entschädigungs-Vorschläge anerkennen.

Das sind doch nur die Grenzfälle. Und die Gewerbeärzte vertreten manchmal unhaltbare Standpunkte: daß ein Werft-Tischler um 10 Prozent erwerbsgemindert sein soll, weil er nicht mehr in einem Bereich arbeiten kann, wo er Schweißrauchen ausgesetzt wäre.

Wieviel der Verdachtsfälle entschädigen Sie denn?

Ich habe nur die Zahl für den Zuständigkeitsbereich Nord, nicht für Bremen: 1993 und 1994 zusammen haben wir bei 435 Asbestose-Verdachtsfällen 80 entschädigt. Beim asbesbedingten Rippenfellkrebs werden nahezu 100 Prozent entschädigt, das waren 57 Fälle.

Warum kriegt der Landesgewerbearzt darüber keine Rückmeldung?

Das ist nicht vorgesehen. Er tut ja auch etwas, was nicht seine Sache ist: Der Landesgewerbearzt soll dafür sorgen, daß in den bremischen Betrieben gefahrenfrei gearbeitet wird. Und was tut er, er wühlt bei uns herum wie ein Polizeibeamter und versucht, uns am Zeug zu flicken in der Anerkennungspraxis.

Das finden die Bürger und BürgerInnen aber schon gut ...

Ja, bloß ist das vom Gesetz überhaupt nicht vorgesehen.

Um nochmal auf die Vorwürfe der Asbestkranken zu kommen: Die sagen, daß die Berufsgenossenschaft sie solange zu Gutachtern schickt, bis sie genügend Stimmen gegen eine Entschädigung zusammen hat...

Erstunken und erlogen. Frau Holch, Sie können gerne solche Behauptungen ausführen, wir nehmen gerne dazu Stellung, bloß – wir müssen uns hüten, uns zu ärgern, denn oft wird uns etwas vorgehalten, was absolut aus der Luft gegriffen ist.

Welches Interesse sollte irgendein Sachbearbeiter hier haben – wir haben 12 bis 13 Sachbearbeiter, die 93/94 2.500 Neuzugänge an Berufskrankheiten zu bearbeiten hatten, die haben einen Wust von Arbeit. Was sollte also so ein Sachbearbeiter für ein Interesse haben, zuungunsten eines Versicherten etwas zu tun?

Es gibt Leute, die unterstellen Ihnen schon ein Interesse – die Grünenabgeordnete Christine Bernbacher etwa ...

...ja, mit der werd' ich noch reden! Fraktur reden!

...Bernbacher sagt, die Berufsgenossenschaften sitzen auf ihrem Geld.

Die hat ja keine Ahnung.

Je weniger Entschädigungen genehmigt werden, umso geringer ist doch der Anteil, den die Arbeitgeber an ihre Berufsgenossenschaft zahlen müssen.

Das ist natürlich richtig.

Also haben die Sachbearbeiter doch ein Interesse.

Die Sachbearbeiter haben doch kein Interesse, für diese Arbeitgeber, also unsere Mitgliedsunternehmen, Geld einzusparen. Das wäre ja ein ganz grober Verstoß gegen Gesetz und Satzung!

Sehen Sie, Frau Holch, diese Fälle, die Ihnen zugespielt worden sind, das sind die Fälle, wo die Asbestexposition überhaupt nicht sicher ist oder wo die Lungenfunktionswerte nicht stimmen. Da kann einer tief Luft holen und holt doch nicht richtig Luft – Unwägbarkeiten. Dann lassen wir von einem anderen Arzt nachprüfen. Das darf man uns doch nicht vorwerfen!

Wie erklären Sie sich dann, daß so viele Leute aufgebracht sind?

Gegen uns aufgebracht sind nur wenige. Das sind Leute, zum Beispiel aus der Selbsthilfegruppe, die Leistungen erwirken wollen, ohne daß ihr Anspruch erwiesen ist.

Ich möchte Ihnen aber auch mal ein Beispiel sagen, wo wir echte Probleme haben, Sie sollen ja nicht denken, wir seien problemlos. Da ist uns ein krebskranker Dreher gemeldet worden. Wir konnten aber keinerlei Asbest am Arbeitsplatz ermitteln, obwohl wir sogar Wellen gemessen haben, die er gedreht hat. Schließlich habe ich ein Rentenausschußmitglied aus dieser Werft angesprochen: Könnte es nicht sein, daß da gegen Ende des Krieges was war. Der hat nachgeguckt und alte Arbeitsunterlagen gefunden, die der Betrieb uns überhaupt nicht genannt hat. Ergebnis: Der Mann hat auf Minensuchbooten gearbeitet, da hat er mit Asbest isoliert. Wir haben ihn sofort anerkannt.

Das ist nun sicher eine schwierige Arbeit...

Das ist Detektivarbeit!

...die Arbeitsbedingungen von vor Jahrzehnten nachzuprüfen. Aber genau da wirft man Ihnen vor, daß Sie nicht sorgfältig genug nachforschen. So wurde jüngst die Klage der Witwe eines Klöcknerarbeiters vor Gericht abgewiesen, weil man keine Asbest-Meßergebnisse von vor zwanzig Jahren habe. Und dann hat der Landesgewerbearzt solche Messungen gefunden, ausgerechnet in einer Berufsgenossenschaftszeitschrift!

Ohne Akte kann ich Ihnen darüber nichts sagen. Aber ich schreibe mir den Namen auf. Wir versuchen natürlich in einzelnen Fällen, über solche wilden Umwege, wie ich Ihnen beschrieben habe, an Angaben heranzukommen.

Aber das ist doch eigentlich kein wilder Umweg, sondern Ihr gesetzlicher Auftrag.

Wir haben den gesetzlichen Auftrag zu ermitteln, aber wir sind darauf angewiesen, daß uns der Unternehmer, der Versicherte, die Krankenkasse und der technische Aufdsichtsdienst sagen, was Sache ist. Wir können ja nicht überall hinfahren.

Ein letzter Vorwurf: Es dauert zu lange, bis jemand endlich anerkannt wird. Wie lang bei Ihnen?

Gar nicht mehr lange, da wir inzwischen fast alle Betriebe kennen, in denen Asbest in großen Mengen verarbeitet worden ist. In Asbestfällen werden unsere Ermittlungsverfahren unter zwölf Monaten abgeschlossen, in Krebsfällen in spätestens sechs Monaten.

Die Berufsgenossenschaft Chemie behauptet, mithilfe eines Asbestsonderbeauftragten nur noch 8 bis 10 Wochen zu brauchen.

Die BG Chemie hatte nur einen einzigen großen Betrieb hier, der mit Asbest zu tun hatte...

Toschi.

Die BG Chemie hat für die ganze Republik nur 160 Betriebe, wir haben allein für den Norden 5.000, in denen früher mit Asbest umgegangen wurde. Wir haben hier den kleinen Mann vor Ort, wo in der KFZ-Werkstatt Bremsbeläge ausgeblasen worden sind, da müssen wir viel mehr Ermittlungsarbeit leisten.

Warum haben Sie dann nur 14 Sachbearbeiter?

Deswegen drängen wir seit Jahren auf eine Verstärkung der Berufskrankheitensachbearbeitung, wir drängen bei unseren Ehrenamtlichen Organen, dem DGB zum Beispiel. Die Arbeitnehmer sind bei uns ja paritätisch in der Selbstverwaltung vertreten. Wieso bringt es zum Beispiel die IG Metall nicht fertig, uns die benötigte Anzahl von Sachbearbeitern zu genehmigen? Wir sind seit Jahren fassungslos, daß unseren Leuten zugemutet wird, sich durch einen Wust von Akten durchzuwühlen und immer noch einigermaßen am Mann zu bleiben. Das ist ein Riesenproblem.

Aber hier kam neulich ein Mann mit einem Asbestkrebs vorbei, der bedankte sich bei der Sachbearbeiterin und drückte ihr sogar 300 Mark in die Hand, weil sie in drei Monaten seinen Fall bearbeitet hat. Und sowas gibt es öfter! Daß wir nämlich pro Jahr eine halbe Milliarde Renten zahlen, das wird in der Presse nie dargestellt.

Fragen: Christine Holch