Wolkenkuckucksheim

■ Kultur auf Reisen: Acht KünstlerInnen versuchen Berlin nach Cardiff zu tragen

Für ein zusammengewachsenes Europa sind diverse Trabantenstädte in Planung. In der ein wenig vom Binnenmarkt Großbritanniens abgedrängten Region Wales hat die EU zu diesem Zwecke einen Flecken ausgesucht, der zunächst überhaupt landtauglich gemacht werden muß. Hier, wo das neue Cardiff eine halbe Stunde vom Zentrum entfernt entstehen soll, spült momentan noch der Ozean seinen Müll in die Bucht. Die Schiffsindustrie liegt brach, es mieft an den alten Kais. Doch die Bagger schaufeln Erde auf.

Wie so oft kommt die Kultur, bevor sich anderes ansiedeln läßt. Noch ist Cardiff regionalistisch eingestellt, Straßen sind zweisprachig walisisch/englisch bezeichnet, und das Frühstücksfernsehen mosert über das Diktat der Downing Street (es geht um die Anhebung von Steuern). Während man im Schlamm mühselig an zukünftiger Industrie und Unterhaltung formt, hat die Stadtverwaltung in der City eine alte Bibliothek Künstlern als Atelierraum zur Verfügung gestellt. Ferner besitzt der geliftete Empirebau einen Saal, in dem der Kulturaustausch mit dem Rest Europas geprobt wird. Gleichzeitig hat man dort einen kroatischen Zeichner mit vorweihnachtlichen Buntstift-Ikonen zu Gast und eine Gruppe Berliner Maler, Bildhauer und Konzeptkünstler.

Glücklich ist der Kurator Jürgen Schneider mit der Konstellation Balkan/Berlin nicht. Der heiße nach dem Kalten Krieg: Obwohl sein Konzept mit individuellen Künstlerstrategien abseits der Mauer-Mythen angesiedelt ist – am Ende werden Sentimentalitäten, Fragen nach dem „Wie lebt sich's im ungeteilten Berlin?“ auch fünf Jahre nach der Wende die Stadtoberen milde gestimmt haben. Und wenn nicht sie, dann doch die Sponsoren von Beck's- Bier, dem Goethe-Institut und Mercedes-Benz.

Dabei sind nur zwei Künstler aus dem Osten: MK Kähne, der mit häkelsockenumhüllten Gipswürsten und überdimensionaler Wursttransformationsmaschine scharf am symbolischen Bezug zur Bananisierung des vormals halben Volkes vorbeischrammt. Und Jörg Herold, der schon 1990 mit Judy Lybkes Leipziger Eigen + Art-Galerie in Paris als Botschafter für Ost-Kunst unterwegs war und derzeit an Londons King's Road „Zeitgenössisches aus Berlin“ zeigt. Statt bürgerbewegten Bekenntniskitschs installiert er „Haus-Museum/Absolutes Medium“: Holzlatten, die behutsam gezogenes Papier an die Decke stemmen. Eine Mischung aus zerfallender Stukkatur und Wolkenkuckucksheim.

Völlig aus dem Dokumentationsgitter der Wiedervereinigung bricht der Niederländer Niko Tenten. Seine Arbeit „the fishlady“ aus sieben treppenartig sich erhöhenden Aquarien läßt sich in Cardiff eher wegen der nicht intendierten Berliner Verhältnisse andocken. Während eines Atelieraufenthalts auf Stuttgarts Schloß Solitüde hatte Tenten eine Aktion am Neckar zum Absterben der Flußfauna durchgeführt. Wo schwärmeweise Elritzen beheimatet waren, schwimmt kaum noch ein lebender Fisch. Auf dem Markt in Cardiff wiederum kann man die Tiere beim Zoohändler kaufen, denn die zart silberne Elritze dient hier der Zierde. Tenten nun hat herausgefunden, daß die Fische auf Farben reagieren, und hat Bassins mit unterschiedlich monochromen Kieseln gefüllt. Dahinter hängen bunt leuchtende Collagen. So kommunizieren am Ende die Fische mit Kunst, für das Pulikum aber bleiben sie in ihren Becken stumm. Und auch die Leuchtkästen von Nauka G. Kirschner stehen in einem konzeptartigen Monolog: Per Fußschalter können die Besucher entweder eine ins Englische übersetzte Bemerkung zur Sprache beleuchten oder nur das Wörtchen „is“. Daneben kleben über Türrahmen verstreut 100 Begriffe von „cat“ bis „attention“ oder gleich zur „absence“. Was immer der Kulturtransfer für Europas Musterregion an Kontakten erbringen soll, Berlin in Cardiff hat vor allem mit der aktuellen Herangehensweise von Kunst zu tun und mit sehr privaten Obsessionen: Fische, Würste, Worte. Harald Fricke

„Positions“. Bis 22.12. in Cardiff.