piwik no script img

Dudajew und seine politischen Freunde

Vom ambitionierten Musterschüler und General zum Machthaber Tschetscheniens  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Dschochar Dudajew kann auf einen mustergültigen Lebenslauf verweisen. Ein erfolgreicher Schüler, ambitioniert, der nach der Rückkehr aus der Deportation in Kasachstan in Abendkursen sein Abitur nachholte, die physikalisch- mathematische Fakultät der Universität Wladikawkas und anschließend die Luftwaffenakademie „Jurij Gagarin“ absolvierte. Als erstem und einzigem Tschetschenen wurde ihm der Rang eines Generals verliehen. Man war stolz auf ihn in Grosny und erhob ihn nicht zuletzt deswegen zum politischen Führer der Kaukasusrepublik. Neunzig Prozent der Wähler bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent gaben ihm ihre Stimme bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 1991. Russen wurden von der Wahl ausgeschlossen. Das vertrug sich nicht so ganz mit seinem Bekenntnis zur Demokratie.

Kurz nach seiner Amtsübernahme verkündete er die Unabhängigkeit und Neutralität Tschetscheniens, flankiert durch ein Programm, das sich den demokratischen Rechtsstaat zum Vorbild nahm. Die innenpolitische Entwicklung lief dagegen in andere Richtung. Im Frühjahr 1993 fiel das Parlament den Ambitionen des Präsidenten zum Opfer, der sich anschickte, die Macht allein an sich zu reißen. Als Feigenblatt gründete er einen Kongreß mit gesetzgebender Kompetenz, dem Stammes- und Sippenälteste, Vertreter der Regionen und gesellschaftlicher Organisationen angehören. Gegner fanden keine Aufnahme. Im November unternahm er einen Vorstoß, seinen international nicht anerkannten Staat auf das Fundament islamischen Rechts zu stellen. Dieses Ansinnen entspringt nicht etwa einer persönlichen Religiosität, sondern soll die muslimischen Sippenältesten auf seine Seite bringen, Sympathie in der muslimischen Welt erzeugen und breite Solidarität für den „heiligen Krieg“ erzeugen.

Hätte Rußland nicht offen die Partei seiner Widersacher ergriffen, wäre Dudajew heute womöglich schon ein abgeschlossenes Kapitel der tschetschenischen Geschichte. Statt dessen eröffnete man ihm die Möglichkeit, an seinem Nimbus zu arbeiten, ein geistesverwandter Nachfolger des legendären Imam Schamil zu sein. Schamil leitete den Widerstand der Kaukasier im 19. Jahrhundert gegen die zaristische Eroberung. Wie er besitzt auch Dudajew strategisches Geschick. Darüber hinaus verfügt er anscheinend über beste Kontakte zum russischen Geheimdienst. Anders lassen sich seine cleveren Winkelzüge gegen Moskau kaum erklären. Aus seiner Freundschaft zu KGB-General Sterlingow, der in Moskau die rot- braune Nationale Rettungsfront leitete, machte er keinen Hehl. Dennoch unterstützte er Boris Jelzin während des Putsches im August 1991 gegen die Verschwörer.

Von einer Politik jenseits der nationalen Souveränität kann keine Rede sein. Der stellvertretende Vizepräsident Iskander Janderbijew spielt eine untergeordnete Rolle. Und Außenminister Jussef Schamsedin vereinigt viele Gemeinsamkeiten mit einem schillernden Märchenerzähler auf sich.

Vor der Übernahme seiner zeitraubenden Tätigkeit verdiente Schamsedin sein Geld als Geschäftsmann in Jordanien, wohin sein Vater kurz vor der Stalinschen Deportation geflohen war. Der Minister kennt nur einen Gedanken: die Souveränität als Wiedergutmachung des durch Russen verübten Unrechts. Historische Rückgriffe auf eine kurzlebige Bergrepublik im Kaukasus der 20er Jahre werden reaktiviert. Ansonsten kennt er sich nur recht dürftig auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR aus. Die baltischen Staaten – Litauen hatte sich als Mittler zu Moskau angeboten – bringt er des öfteren durcheinander. Man tritt ihm nicht zu nahe, wenn man ihn einen unversöhnlichen Russenfeind nennt: „Man kann den Russen nicht trauen, sie haben ihr Wort nie gehalten!“ Aus dem engen Kreis des Präsidenten verkündete der Außenminister als erster, daß die für Frühjahr nächsten Jahres angesetzten Wahlen wohl nicht stattfinden werden: „Das Volk meint, wir sollten unter den jetzigen Umständen weder Wahlen noch ein Referendum abhalten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen