Porsche: Wie einst im Osten

Die Fabrik für Autofetische aus Zuffenhausen schreibt wieder Gewinne / Die Japaner haben die Produktion umgekrempelt  ■ Aus Stuttgart Hermann Abmayer

Der Mann traut seinen Augen nicht: „Das ist ja wie bei den Kommunisten“, schimpft der Rumäniendeutsche. Überall hängen Schilder mit Parolen. „Machen wir keine gute Arbeit?“ fragt ein anderer Siebenbürger Sachse. Die beiden arbeiten seit 1990 bei dem Sportwagenbauer in Stuttgart- Zuffenhausen. Keiner bereut den Umzug in den freien Westen, aber die neuen Methoden der Marktwirtschaft irritieren sie schon.

Vom Osten lernen heißt bei Porsche die Parole seit der Machtübernahme von Wendelin Wiedeking Ende 1992. Der 42jährige Porsche-Chef meint nicht die Sowjetunion, sondern Japan. Und die Instrukteure werden nicht von einer fremden Regierung geschickt, sondern für viel Geld eingekauft. Zur Freude von Auto-Krösus Ferdinand Piäch, dessen Familienclan zusammen mit der Familie Porsche den Großteil der Aktien der Sportwagenschmiede besitzt.

Piächs Segelfreund hat rund ein Drittel des Personals „sozialverträglich“ auf die Straße gesetzt – Rekord unter den Lenkern der deutschen Fahrzeugindustrie. Und mit der Japanisierung und Öffentlichkeitsarbeit hat Wiedeking es zum „Manager des Jahres“ gebracht. Die Crew seines PR-Chefs Anton Hunger hat den Buchhaltertyp zum Wunderknaben hochstilisiert.

Tatsächlich konnte Porsche den Verlust im abgelaufenen Geschäftsjahr von 250 auf 150 Millionen verringern. „Verlust nach Plan“, nennt man das. Und der Pro-Kopf-Umsatz ist gestiegen, dahinter verbirgt sich ein massiver Abbau der Fertigungstiefe. Wiedekings neuer Titel ist ohnehin etwas anrüchig geworden. Denn wer erinnert sich dabei nicht an einen der größten Blender der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte, an Heinz Schimmelbusch, der mit der Metallgesellschaft einen der größten deutschen Konzerne in den Ruin führte. Nur zwei Jahre zuvor durfte sich „Schibu“ Manager des Jahres schimpfen.

Wendelin Wiedeking stört das wenig. Er will auf der Karriereleiter jetzt noch einige Stufen höher steigen. Wie es in der Chefetage in Zuffenhausen heißt, wird er vom nächsten April an in Ingolstadt die angeschlagene VW-Tochter Audi führen, vorausgesetzt, der Aufsichtsrat von Audi stimmt dem Wechsel knapp ein Jahr nach der Berufung von Herbert Demel zu.

Turbo-Belegschaft ohne 13. Monatsgehalt

Mit wem es in Zuffenhausen dann weitergehen soll, weiß außer Piäch noch niemand. Doch auch der selbstherrliche VW-Boß ist nicht allmächtig. Gegen die Familie des 85jährigen Ferry Porsche kann auch er sich nur schwer durchsetzen. Im mittleren Management ist man gar nicht so unglücklich über den Weggang des unbeliebten Chefs. Wiedeking hat es allerdings verstanden, einen Aufstand der Krawattenträger frühzeitig zu ersticken – mit Geld: Jeweils rund 6.000 Mark ließ er an sein Leitungspersonal bis hinunter zum Abteilungsleiter verteilen. Und schon herrschte wieder Ruhe.

Den Arbeiter aus Siebenbürgen interessiert das Ränkespiel nicht mehr. Er weiß nur, daß er in diesem Jahr weder eine Prämie noch das 13. Monatsgehalt bekommen hat. Das von Wiedeking verteilte T-Shirt mit der Aufschrift „Hier arbeitet ein Turbo“ will er nach so viel Enttäuschung jedenfalls nicht mehr tragen. Die Turbo-Belegschaft ist sauer auf ihren Chef, den sie bei einer Betriebsversammlung in der vergangenen Woche demonstrativ ausgepfiffen hat.

Wiedekings Trick: Da die Auszahlung des vollen 13. Monatsgehalts bei Porsche an Jahresüberschuß und Dividende gekoppelt sind und der Aufsichtsrat auf die Dividende verzichten will, haben die Beschäftigten keinen Anspruch auf das volle Weihnachtsgeld. Und wenn im kommenden Jahr dennoch eine Dividende beschlossen wird, will Wiedeking seine Werker für den Fall, daß man wieder schwarze Zahlen schreibt, möglicherweise mit einer einmaligen Sonderzahlung abspeisen. Für Porscheaner ein schwacher Trost: Denn allein durch die Kurzarbeit in den kommenden sechs Monaten werden sie mehrere tausend Mark verlieren. Lohneinbußen hießen in Rumänien oder in der DDR „Solidaritätsbeiträge“. Nur waren die Summen viel geringer.

Diese Zeit hat die Flüchtigen aus dem Osten wieder eingeholt, die Zeit der „Helden der Arbeit“, die Zeit der Verdienstorden und der verlogenen Feiern. Nur die Namen haben sich geändert. Statt „vaterländische“ läßt Wiedeking Anstecknadeln in Bronze, Silber und Gold verteilen – für Verbesserungsvorschläge. Den Besten überreicht ein Vorstandsmitglied die goldene Nadel mit Rubin.

Der Alltag ist marktwirtschaftliche Gleichmacherei. Die Werker tragen „Blauen Anton“, der Rest soll im grauen Meisterkittel erscheinen – die Angestellten nicht ausgenommen.

Selbst das Abkürzungswesen erinnert an den Realsozialismus; „PVP“ heißt die Zauberformel von Wendelin Wiedeking, übersetzt „Porsche Verbesserungsprozeß“. „Kaizen“, sagen dazu die japanischen Berater Joshiki Iwata und Chihiro Nakao und ihre Helfer, die einst bei Toyota zugange waren. Und sie erwarten von ihren Schützlingen, daß alle das Buch über den „Schlüssel zum Erfolg“ gelesen haben. Klar, daß Kaizen nur in Japan selbst gelernt werden kann. Mitarbeiter verschiedener Ebenen mußten deshalb auf die gelobte Insel fliegen.

In Deutschland bedienten sich die Toyotisten einer aufwendigen Multi-Media-Show: Anwesenheit ist Pflicht. Die Vorgesetzten müssen dafür sorgen, daß keiner dem Spektakel fernbleibt. Während die Ossis wieder an selige planwirtschaftliche Zeiten denken, fragt so mancher Wessi, ob hier nicht Scientologen am Werk sind. „Wendelin, jetzt geht's Loos“, heißt das Motto, und mit Loos ist Produktionschef Uwe Loos gemeint, der Mann, der die Probleme der Produktion in den Griff bekommen sollte. Im Betrieb läßt sich niemand blenden. Denn während Wiedeking als „Manager des Jahres“ für das „radikale Umkrempeln der Produktionsabläufe“ geehrt wird, weiß man bei Porsche, daß Wiedekings Japan-Boys nicht selten Chaos organisieren. Trotzdem müssen die Meister regelmäßig ihre Erfolge präsentieren. Plansoll erfüllt, hieß das im Osten, Ratio-Sollvorgabe erfüllt, heißt es bei Porsche. Ein Vorgesetzter: „Da wird gelogen wie gedruckt.“ Nichts Neues also für die Werker aus dem Osten.