Das Wühlen ist vorgeschrieben

■ Gewerbeärzte im Clinch mit der Berufsgenossenschaft / „Asbest – die geleimten Opfer“ (7)

Auch die Landesgewerbeärzte haben ein Wörtchen mitzureden bei der Entschädigung von Asbestkranken. Schließlich sind sie für den medizinischen Arbeitsschutz in Bremen zuständig. Das letzte Wort haben allerdings die Berufsgenossenschaften. Besonders ersprießlich scheint diese Zusammenarbeit nicht zu sein – der Chef der Norddeutschen Metallberufsgenossenschaft, Wito Hadré, hat in der gestrigen taz einigermaßen getobt.

Sie wühlen unrechtmäßig in den Akten über Betriebe der Berufsgenossenschaft, wie ein Polizeibeamter, hab' ich gehört...

Frank Hittmann-Cammann: Das Wühlen in den Akten ist verbindlich vorgeschrieben. In der Berufskrankheitenverordnung steht: Die für den betrieblichen Arbeitsschutz zuständige Stelle soll sich praktisch in jedem Berufskrankheitenverfahren äußern, ob eine Berufskrankheit vorliegt oder nicht – dazu muß ich natürlich alle Umstände kennen.

Ja, und dann erstellen Sie Gutachten, die die Berufsgenossenschaft ärgern: daß bei einem Vulkan-Tischler mit Asbestose eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 Prozent vorliegt. So ein Unsinn, sagt Herr Hadré, der Tischler kann doch noch sonstwo auf der Werft arbeiten!

Klaus Giersiepen: Ein Werfttischler mit Asbestose darf keinesfalls mehr in staubiger Atmosphäre arbeiten, das wäre gesundheitsschädigend – man sieht ja auf dem Röntgenbild narbige Verschattungen, der kann bestimmte Dinge einfach nicht mehr machen, da kann die Lungenfunktion so gut sein, wie sie will. Dann ist das Lungenvolumen eben nicht mehr das Maß aller Dinge. Ins Büro kann man ihn aber auch nicht stecken. Also ist ihm ein wesentlicher Teil des Arbeitsmarktes verschlossen, wir schätzen auf auf zehn Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Nun wird bei Asbestose überhaupt erst ab 20 Prozent entschädigt, aber sehr oft haben diese Wertarbeiter außer der Asbestose auch noch eine Lärmschwerhörigkeit. Zusammen würde das die Erwerbsfähigkeit um 20 Prozent mindern. Dann bekäme der Tischler eine Entschädigung.

Die Berufsgenossenschaft wirft Ihnen vor, daß Sie zuviele Asbestkranke für eine Entschädigung vorschlagen...

Hittmann-Cammann: Aber das sind nur fünf Prozent aller Berufskrankheitenfälle, die schweren. In 95 Prozent sind wir uns ja einig.

Jetzt halten Sie sich aber bedeckt! Schließlich mißtraut die Berufsgenossenschaft Ihren Gutachten und schickt die Leute noch zu eigenen Gutachtern!

Nun, es ist völlig klar, daß einzelne Berufsgenossenschaften in Konflikt mit uns kommen, vor allem dann, wenn wir, aufgrund unserer Zusammenarbeit mit bestimmten Gutachtern, wo wir uns von der Qualität überzeugt haben, in der Regel Bremer Gutachter, eine Entschädigung vorschlagen. Dann meint die Berufsgenossenschaft, sie hätte Auswärtsgutachter, denen sie ihr Vertrauen eher schenken kann. Mit denen wir aus bestimmten Erwägungen heraus nicht so gerne zusammenarbeiten...

Warum arbeiten Sie mit diesen auswärtigen Gutachtern nicht so gerne zusammen?

Wenn ich zum Beispiel erkenne, daß ein Gutachter bei einer bestimmten Konstellation relativ regelmäßig an das strengere Ende der Gutachter einzuordnen ist, dann verlasse ich den und orientiere mich lieber daran, welcher Gutachter liegt denn nun in der Mitte. Wer urteilt nicht nur aus seinem guten Herzen heraus, versucht aber auch nicht, um jeden Preis jede Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu drücken?

Sie haben also den Eindruck, bestimmte Gutachter der Berufsgenossenschaften drücken die Minderung der Erwerbsfähigkeit um jeden Preis?

Ich habe den Eindruck, daß ich mit der Auswahl des Gutachters ein Stück weit bestimmen kann, ob die MdE um fünf Prozent höher oder niedriger ausfällt – und das kann nun gerade der entscheidende Bereich sein. Also – sehr viel deutlicher möchte ich das wirklich nicht sagen.

Fragen: cis