Schöne und saubere Mieter

■ Szenen, die nur das Leben spielt: Im Scheunenviertel trafen sich ein Frankfurter Immobilienhai, einige Anwohner sowie eine Frau Adam und redeten aneinander vorbei

Am Ende siegte die Vernunft nicht. Otto Kern: „Ich habe Ihnen überhaupt nichts versprochen.“ Mieterin: „Aber Frau Adam!“ Otto Kern: „Frau Adam ist eine Frau.“ Frau Adam hatte sich derweil im Nebenraum versteckt und zeigte ihr Grinsegesicht nicht einmal mehr, wenn sie als Ansprechpartnerin der Mieter lauthals gerufen wurde. Hätte die Vernunft gesiegt, hätte Otto Kern, der Boß, seiner subalternen Frau Adam noch während der Versammlung kündigen müssen. Frau Adam nämlich hatte die Geduld der Mieter einer empfindlichen Belastungsprobe unterzogen. Frau Adam: „Gibt es sonst noch Beschwerden?“ Mieter: „Antworten Sie doch erst mal auf meine!“ Frau Adam: „Das sind Angelegenheiten, die die anderen hier nichts angehen.“ Dann ihr Abgang.

Als die Anwohner und Mieter der von Otto Kern geplanten Passage zwischen Auguststraße und Oranienburger sowie dreier zur Modernisierung vorgesehener Mietshäuser am Dienstag nachmittag ins Café Orange kamen, war Otto Kern schon da. Als Otto Kern vor zwei Jahren aus Frankfurt nach Berlin kam, waren die Mieter schon da. Und sie wollen bleiben. Auch Otto Kern will sie bleiben lassen. Zu bestimmten finanziellen Bedingungen. „Dafür“, verspricht er, „gibt es schöne, gute Wohnungen.“

Otto Kern, nicht identisch mit dem Modezar, ist der Typ Immobilienverwerter, wie es ihn wohl nur in Berlin und Frankfurt geben kann: blauer Zweireiher mit Goldknöpfen, in die Jahre gekommenes Sportlergesicht, ein Blick, als würde er nebenbei Gebrauchtwagen verkaufen, und eine deutliche Distanz zum horizontalen Gewerbe: „Ein Puff“, erklärt er mit Bestimmtheit, „kommt hier nicht rein.“ Mieter: „Was denn?“ Otto Kern: „Das werd' ich Ihnen doch nicht verraten.“ Ex-Besetzer: „Kunstgewerbe?“ Otto Kern: „Vielleicht, vielleicht auch ein Café wie das Orange, das sind nette, anständige Leute. Ich will schöne und saubere Mieter.“ Gelächter. Otto Kern: „Man kann sich ja auch mal versprechen.“

Zwischen Oranienburger und Auguststraße, Strich und On-Kultur, will Otto Kern bauen, modernisieren und Tiefgaragen buddeln lassen. Die von den Anwohnern kritisierte Luxusladenpassage nebst Überdachung ist vorerst vom Tisch. Im Frühjahr soll nun Baubeginn sein. Ältere Mieterin: „Das haben Sie schon letztes Jahr gesagt.“ Otto Kern: „Wir fangen im Frühjahr an.“ Bezirksamtsvertreterin: „Sie haben noch keinen Bauantrag gestellt.“ Otto Kern: „Wir werden den Bau unverzüglich beantragen, und wir werden öffentliche Mittel in Anspruch nehmen, damit die Wohnungen nicht nur schön und sauber sind, sondern auch bezahlbar.“ Mieterin: „Wie hoch werden denn die Mieten sein?“ Otto Kern: „Neun Mark kalt. Wer das nicht bezahlen kann, muß sich ans Sozialamt wenden.“ Bezirksamtsvertreterin: „Ein Antrag auf öffentliche Mittel wurde noch nicht gestellt.“ Otto Kern: „Unverzüglich“. Mieter: „Wie bei den Reparaturen.“ Doch dafür ist Frau Adam zuständig. Architekt Hohlfeld: „Auch ich bedaure die Verzögerungen.“ Ex- Besetzer: „Und Sie haben einmal gesagt, sie kommen aus dem Osten und haben ein soziales Gewissen.“ Otto Kern: „Ich will Ihnen mal was sagen ...“ Ex-Besetzer: „Geh'n Sie doch zurück nach Frankfurt!“ Otto Kern ist beleidigt: „Und ich hab' gedacht, ich mach' euch schöne saubere Wohnungen.“ Mieter: „Neun Mark kalt.“ Otto Kern: „Monatlich zahle ich 105.000 Mark Zinsen, bei 11.000 Mark Einnahmen.“ Anonym: „Jammerwessi!“

Mieter: „Um was geht es hier eigentlich?“ Anderer Mieter: „Um schöne, saubere Wohnungen.“ Ältere Mieterin: „Seit zwei Jahren regnet es vom Dach in meine Wohnung.“ Otto Kern: „Frau Adam!“ Keine Reaktion.

Die Oranienburger Straße ist umkämpftes Terrain. Zuerst kamen die Sexhändlerinnen und die Frauenhändler, dann die Wohnungshändler. Auf der Freifläche an der Nummer 33 stand noch vor kurzer Zeit eine Stelltafel mit einem stadtteilpolitischen Stück Heimatliteratur: „Kommt das Geld, geht die Stille, dann der Glaube, schließlich der Mensch.“ Nun ist die Tafel verschwunden.

Am Ende der Veranstaltung wußten Mieter und Ex-Besetzer nicht, wessen Versprechungen sie glauben dürfen. Am glaubwürdigsten war die Mieterberaterin: „Alles, was hier versprochen wurde, ist öffentlich gesagt und damit verbindlich.“ Skeptischer die Bezirksamtsvertreterin: „Ob der tatsächlich öffentliche Mittel beantragt?“ Kämpferisch geben sich Bewohner der Tucholskystraße. „Gewinnsucht ist heilbar“, steht dort an der Hauswand. Uwe Rada