Die richtige Schärfe

■ Ein Raum aus Licht als dreidimensionales Infonet: Die Glühlampen-Installation von Fritz Balthaus im Neuen Berliner Kunstverein übt stark meditative Reize aus

Die Besucher, die den Ausstellungsraum an der Chausseestraße betreten, retten sich erst einmal zu einem Holzregal, nahe dem Tisch der Aufsicht im hinteren Teil des Raums, auf dem karg bedruckte weiße Pappschachteln gestapelt sind: Fritz Balthaus NBK. Denn abgesehen von diesem Präsentationsaufbau scheint der große Raum völlig leer und nur von einem schmerzhaft blendenden Licht erhellt. Das Wissen, wie eine Kunstausstellung üblicherweise aussieht, wird plötzlich problematisch. Irgendwo an Wänden und am Boden sollten die ästhetischen Artefakte zu finden sein. Statt dessen aber findet man, woraus Kunst im Betriebssystem gemacht wird: aus Informationen.

Als Information soll man das gleißende Licht auffassen, das einer einzigen Quelle entstammt – einer 3.000-Watt-Narva- Filmlampe, um die herum vier Rechtecke gehängt sind, von denen wiederum eines ein Spiegel ist. Das Mobile reflektiert: Bilder an der Wand. Ein dunkles Rechteck wird von einem gleich großen, hell glänzenden flankiert. Diese Projektion ist ein technisches Verfahren, von dem Thomas Wulffen in der Eröffnungsansprache sagte, daß in ihm das Kunstwerk nicht beleuchtet, sondern belichtet wird. Dabei denkt man an die ersten technischen Bilder, an Hell-dunkel-Verläufe auf der lichtempfindlichen Platte im Hintergrund der Camera obscura. Die Galeriewand mit dem schwarzweißen Diptychon könnte die enorme Vergrößerung eines winzigen Punktes auf dieser Platte sein. Oder der kleinste gemeinsame Nenner technischer Codierung: 0/1.

Das Kunstwerk im Zustand seiner Belichtung ist ein unfertiges, es bewegt sich, es flirrt an der Wand. Allein schon wegen der Hitze der Lampe, die den Spiegel beständig zum Schwingen bringt. Unschärfe der an der Wand sich abbildenden Felder ist das Resultat. Technisch ließe sich das scheinbare Manko durch ein Abschwächen der Belichtung eliminieren oder durch das Stillstellen der Optik.

Mit diesem Prinzip sieht der Besucher sich an anderer Stelle konfrontiert. Balthaus hat durchsichtige Luftpolsterfolie, wie sie zum Verpacken benutzt wird, in einen Diarahmen gesteckt. Der Diaprojektor wirft ihr Bild an die Wand: ein seltsam blasenförmiges Hell- dunkel-Gebilde, das atmend pulsiert, weil es sich ausdehnt und zusammenzieht. Da die Blasenfolie ein dreidimensionales Objekt ist, zoomt das Objektiv des Projektors auf der Suche nach der Ebene der Scharfeinstellung unermüdlich fokussierend hin und her. Die Installation übt stark meditative Reize aus. Man verfällt einer irgendwie dusseligen Faszination dieses ewigen Hin und Her und vermutet eine sanft-ironische Referenz an Norbert Wiener, den Vater der Kybernetik, dessen hundertster Geburtstag gerade gefeiert wurde.

Balthaus selbst fokussiert seine minimalen installativen Eingriffe, indem er die Spielarten von Bedeutung auf ihren präzisen materiellen Ausdruck bringt. Reflektieren heißt spiegeln, Qualität gibt es nur als technische Güte – und das heißt messen, wofür zum Beispiel Konstanz ein Sinnbild wäre. Balthaus nun rückt diesen Terminus im Feld der Kunst zurecht: Das Kunstwerk ist nach seiner Belichtung eine Art Präparat. Fotografiert und reproduziert findet es sich im üblichen Katalog. Damit es in seiner drucktechnischen Multiplikation von gleicher Abbildungsqualität bleibt, gibt es Teststreifen standardisierter Farbmuster, die beim Vierfarbdruck als Meßlatte für die Farbkonstanz dienen. Das ist das verborgene Bild von Reproduktionsdaten hinter jedem Bild eines jeden Katalogs.

Balthaus macht es zum Bild seines Katalogs, jedes einzelne Segment dieser Druckskala ist das Bild einer Seite. Und so wie die Wand des Licht-und-Schatten-Diptychons als Bildplatte erscheinen mag, kann die gegenüberliegende Wand als der weiße Druckbogen gelten, die der Künstler konsequent mit exakt diesem Farbmeß- Streifen am Boden entlang der Fußleiste hat abschließen lassen. Güte wird gemessen und dann attestiert.

Zurück zu den aufgestapelten weißen Pappschachteln, den Multiples: Fritz Balthaus NBK – die Unterschrift des Künstlers garantiert die identische Multiplikation dessen, was in der Ausstellung das Präparat bildet. In jeder der Kunstkisten sind die besagten Bilder einmal als auratisches Ästhetikum im Katalog, einen Text von Friedrich Kittler begleitend, und noch einmal im verkleinerten Farbauszugsstreifen enthalten. Der präzise materielle Ausdruck für Kultbild ist Medienästhetik. Brigitte Werneburg

Fritz Balthaus, bis 30.12. im Neuen Berliner Kunstverein.