■ Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek zu Alfred Hrdlicka: „Eine unglaubliche Schrecklichkeit“
Der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka hatte Wolf Biermann im „Neuen Deutschland“ die „Nürnberger Rassegesetze“ an den Hals gewünscht, weil dieser verkündet hatte, er wolle nicht unter Gesetzen leben, die mit der Stimme Gysis beschlossen würden. Henryk M. Broder nannte Hrdlicka darauf einen „linken Nazi“ und griff auch den Direktor des Wiener Jüdischen Museums, Julius H. Schoeps, an, der Hrdlicka brieflich zu seinem Angriff auf Biermann gratuliert hatte. Unterdessen hat der österreichische Wissenschaftsminister Rudolf Scholten angekündigt, es werde geprüft, ob Hrdlicka als Vizerektor der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien weiter tragbar sei. Letzte Runde: Ignatz Bubis nennt Hrdlicka in der jüngsten Nummer der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ einen „faschistoiden linken Herrn“, der unter „Verbaldiarrhöe“ leide.
taz: Frau Jelinek, was sagen Sie zu Hrdlickas Äußerung? War es eine Verwünschung oder einfach ein Aussetzer?
Elfriede Jelinek: Dieser Satz ist ungeheuerlich und durch nichts zu entschuldigen. Sie haben eben von einer „Verwünschung“ gesprochen. Genau das ist es. Es ist eine fast alttestamentarische Geste.
Sollte das etwa ein Tabubruch sein, eine Herausforderung der politischen Korrektheit?
Die „political correctness“ wird schon lange lächerlich gemacht. Ich bin ja eigentlich eine große Anhängerin davon. Aber wenn man sie lächerlich macht, muß man jemand eben auch gestatten, daß er sich politisch nicht korrekt verhält. Wenn man Hrdlickas Satz wohlwollend im Zusammenhang liest, will er wohl eigentlich sagen, wenn man von Kommunisten und Juden wie Gysi mitbeschlossene Gesetze nicht achten kann, dann werden wir bald Zustände wie jene bekommen, die die Nürnberger Rassegesetze möglich gemacht haben. Und dann werdet ihr euch erst anschauen. Ich würde sagen, man sollte, wenn die erste Hitze jetzt einmal abgeklungen ist, noch einmal genau lesen. Und ich finde es infam, daß man Julius Schoeps, dem Leiter des Jüdischen Museums, der als einziger von Anfang an um Differenzierung bemüht war, jetzt einen Strick daraus drehen möchte.
Aber geht das nicht einfach zu weit? Die „Nürnberger Rassegesetze“ sind doch kein Stoff für irgendeine Polemik unter Kollegen.
Richtig, das geht nicht, das ist ein Skandal, und es darf einem natürlich nicht passieren. Aber ich glaube, daß Hrdlicka die Sache nicht so meint, wie es jetzt scheint. Es ist ihm allerdings ein Vorwurf zu machen, denn er hat seine Äußerung nicht mündlich in der ersten Erregung gemacht, sondern er hat das schriftlich formuliert. Deshalb ist die Sache nicht zu entschuldigen. Aber ich finde, wenn jemand mit seinem ganzen Lebenswerk gegen den Antisemitismus eintritt, kann man solch eine Äußerung nicht isoliert nehmen, dann hat das einen anderen Stellenwert als bei jemandem, der sein Leben lang am rechten Rand entlang balanciert ist.
Sie sehen also Hrdlickas Werk nicht moralisch diskreditiert durch seine Äußerung?
Nein, überhaupt nicht.
Nun hat aber Simon Wiesenthal in einem Leserbrief an das Nachrichtenmagazin „profil“ – in Anlehnung an eine Polemik von Henryk M. Broder – die Abräumung des von Hrdlicka geschaffenen Denkmals der Judenverfolgung in Wien gefordert.
Ich bin absolut dagegen. Im Zweifelsfall soll man Menschen doch nicht nach dem beurteilen, was sie sagen, sondern nach dem, was sie tun. Und Hrdlicka hat sich lebenslang gegen den Antisemitismus engagiert. Über sein Denkmal kann und soll man nach ästhetischen Maßstäben streiten. Es war ja auch damals bei der Errichtung sehr umstritten. Ich finde es auch vom Kultusminister nicht in Ordnung, daß er nun Hrdlicka seine Stelle an der Kunsthochschule wegnehmen will. Ich würde auch von Herrn Broder etwas mehr Verantwortungsbewußtsein erwarten, von jemandem, der brillant schreibt und genau weiß, wen er anklagt, während Hrdlicka dies offenbar nicht mehr weiß.
Warum diese gegenseitige Zerfleischung der Feinde des Antisemitismus? Eine Übersprungshandlung?
Wir werden in Österreich vielleicht bald schon einen Bundeskanzler Haider haben. Und außer Haiders entsetzlichem Satz von der gelungenen „Beschäftigungspolitik“ im Dritten Reich hat es schon so viele gräßliche Aussagen von Personen gegeben, die wesentlich weniger integer und auch einflußreicher sind als Hrdlicka, daß wir wirklich damit genug zu tun haben. Man soll jetzt nicht so tun, als ob Hrdlicka der politische Gegner wäre. Der wird in Österreich aus einer ganz anderen Ecke kommen. Und dann werden wir uns erst wirklich anschauen. Man sollte wirklich schauen, was hier politisch schon in den nächsten Jahren weiter passieren könnte. Und ich glaube, daß in diesem Sinne vielleicht auch Henryk M. Broder seine Aussagen etwas relativieren würde.
Kocht der Streit in Österreich deshalb so hoch, weil einem gegen Haider nichts einfällt?
Na ja, das kann ich nicht so sagen. Wenn man diesen Satz nimmt, dann ist er wirklich eine unglaubliche Schrecklichkeit. Und man sollte so etwas weder im Zorn noch sonst irgendwann in den Mund nehmen. Da hat die Empörung allerdings eine Berechtigung. Aber man sollte sich hier nicht nur eine Aussage, sondern ein ganzes Leben anschauen. Und dem Hrdlicka, der persönlich in einer sehr angespannten Lage ist, dem würde ich wünschen, daß er jetzt mal ruhig ist und in sich geht, daß ihm wohlmeinende Personen vielleicht einmal etwas ins Gewissen reden und ihm klarmachen, was man sagen kann und was nicht.
Ulrich Weinzierl hat in der „FAZ“ geschrieben, Hrdlicka sei „zum Abschuß freigegeben“.
Es gibt tatsächlich eine Reihe von Leuten, die ihn schon lange loswerden wollten und nun draufsatteln. Aber die Empörung, wie sie etwa in dem Brief von Simon Wiesenthal zum Ausdruck kommt, ist trotzdem gerechtfertigt.
Um noch einmal auf das Denkmal zurückzukommen, das nun wieder in die Kritik gerät. Glauben Sie, daß im Licht der Geschehnisse der letzten Woche eine neue Debatte ansteht?
Die Debatte, die wir am allerwenigsten nötig hätten, wäre eine um die Frage, ob wir ein Denkmal gegen den Antisemitismus brauchen, selbst wenn es eines ist, das einem nicht gefällt, oder wenn es von jemandem ist, der einem nicht gefällt. Ich habe mehr Angst, daß bald ganz andere Debatten notwendig werden. Man schlägt hier wirklich die falsche Person. Der Zorn wäre anderswo angemessener. Wenn die Antifaschisten sich so aufführen, freuen sich Haider und die FPÖ. Sie haben jetzt Gelegenheit, sich als die besseren Antifaschisten aufzuspielen. Interview: Jörg Lau
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