Freie Gedankenlust

■ Kunstverein: Die Ausstellung „dagegen-dabei“ zeigt die Geschichte alternativer Kunstprojekte seit 1969

Ein Doppelzimmer mit Waschecke in einem undefinierbar gräßli- chen Hotelstil ziert den Erdgeschoßraum des Kunstvereins. Es ist kein Weihnachtsgeschenk für Obdachlose, sondern ein mit Kunstwerken unauffällig ausgestattetes Modellstück der Kunst-Pension „Nürnberger Eck“ und bildet einen Teil jener großangelegten Retrospektive dagegen-dabei, mit der Bettina Sefkow und Ulrich Dörrie etwas weitgehend Legendäres dokumentieren: die schwer darstellbare Bewegung alternativer Kunstprojekte in verschiedenen deutschen Städten seit dem ereignisreichen Jahr 1969.

Mit Rufen wie „Erschlagt Euren Galeristen...!“ drängten die „Acht-undsechziger“ nach dem Ende der direkten politischen Betätigung ins soziale Feld und machten sich auf in den Marsch durch die Institutionen. Lustig mit dabei: der heutige Top-Galerist Ulrich Dörrie. In einer dreimonatigen Folge von sechs Präsentationen stellen die beiden Galeristen nun die Arbeit von sechzehn derartigen Kunst-Projekten in Installationen, Vorträgen, Dias und Filmen vor. Es geht dabei einerseits um eine Art archivarische Dokumentation mit begleitendem Seminar, andererseits um den Hinweis auf eine Art Gedankenbrücke zwischen den damaligen Aktivitäten und aktuellen künstlerischen Ansätzen.

Mit Rufen wie „Erschlagt Euren Galeristen“ drängten die 68er ins soziale Feld

Nicht nur, daß manche der Projekte noch immer aktiv sind; generell ist in letzter Zeit in der Kunst-Szene wieder ein stärkeres soziales Engagement zu bemerken. Gerade der Hamburger Kunstverein ist besonders aktiv darin, solche sinnlich oftmals eher spröde aktuelle Kunst gegen alle kulinarischen Widerstände zu präsentieren. Doch Lust kommt eben nicht nur aus dem Bauch. Gedankenlust und Freude an freieren, selbstbestimmten Strukturen sind seit eh und je genauso wichtig für Kunst und Leben wie die ästhetische Vollkommenheit.

Erschlagen wurde in den Siebzigern dann übrigens kein Galerist, es gab höchstens mal „ein auf die Schnauze“ bis die neuen Aktivitäten dann selbst zu etablierten „Anti-Institutionen“ wurden, nach dem typisch deutschen Vereinsrecht verbürgerlichten oder – häufiger – schlicht pleite gingen.

Schon Ende des vorigen Jahrhunderts haben Künstler oder Künstlergruppen auf eigene Faust für die Präsentation ihrer Bilder gesorgt. Die vermutlich erste Produzentengalerie im sozial erweiterten Kunstbegriff, um den es in der vorliegenden Reihe geht, war aber der Aktionsraum 1, den Alfred Gulden von 1969-1970 in München betrieb.

Manch alternativ begonnene Karriere verlief allerdings sehr seltsam. Dieter Haker zum Beispiel, der von 1971-1985 mit seiner 7. Produzentengalerie in Berlin rund sechzig engagierte Ausstellungen durchführte und in diesem Thema sogar Gastdozent an der Hamburger Kunsthochschule war, enttäuschte später durch den plötzlichen Wechsel zur vollkommen ernst gemeinten Öl-Malerei.

Hamburgs kreativste Keimzelle in diesem Sektor war die Buch Handlung Welt von Hilka Nordhausen in der Zeit von 1976-83. In der Diaschau mit Dokumenten der damaligen Zeit über Wandmalaktionen und andere Performances kann auch der jugendliche Uwe M. Schneede unter den Akteuren entdeckt werden. Der heutige Chef der Kunsthalle trug vor 15 Jahren mit seiner Kunstvereinsausstellung Künstler, Forscher, Sozialarbeiter Wesentliches zur Definition des aktuellen Künstlerbildes bei. Dieser speziell für Hamburg interessante, dritte Teil der vielfältigen Reihe ist noch bis Sonntag im Kunstverein zu sehen.

Nach einer Weihnachtspause geht es dann im Januar mit neueren, meist interaktiven Aktivitäten weiter. Nach der Dokumentation der Arbeit des Büro Berlin von 1978-85 (ab 8. Januar) zeigen die weiteren Etappen das Video-Magazin Infermental, das Computer-Netzwerk The Thing sowie Radiosendungen mit jüngeren Gruppen wie Botschaft e.V., Büro Berti und minimal club.

Doch alle diese Modelle sind nicht die endgültige Lösung des Vermittlungsproblems. Selbstkritik und Frust sind immer gegenwärtig: „In der Produzentengalerie erfährt der Künstler hautnah, wie weit das, was er macht von dem weg ist, was die Menschen interessiert“ gibt Augenladen-Leiter Bernhard Sandfort zu bedenken. Und dennoch wünschen wir, daß der junggebliebene Teil des alten Aufbruchsgeistes das kommende Jahr beflügeln möge.

Hajo Schiff

Kunstverein, Klosterwall 23, bis Sonntag und ab 8. Januar bis 5. Februar