Ein Traum von Zement

■ Maasai-Frauen fotografieren ihren Alltag: Eine Ausstellung im Bremer Übersee-Museum bricht mit der westlichen Sucht nach Afro-Exotik

Üblicherweise werden außereuropäische Kulturen in völkerkundlichen Museen mit dem ethnographischen Blick, und das heißt gemeinhin aus der Perspektive der Weißen dargestellt, genauer: aus der des weißen Mannes. Wie aber sieht es aus, wenn z.B. Maasai-Frauen ihr alltägliches Leben selbst darstellen? In rund 70 Fotografien und eigenen Beschreibungen ist das nun zu entdecken – Bilder und Texte der Ausstellung „Illtung'ana loo nkishu“, die heute im Bremer Überseemuseum eröffnet wird.

„Illtung'ana loo nkishu“, das heißt: Menschen mit Rindern. So nennen sich die Maasai, denn von jeher gilt ihnen die Rinderzucht als wichtigste Produktions- und damit Lebensgrundlage. Doch das Zurückdrängen der halb-nomadisch lebenden Maasai, deren Region von ehedem der Hälfte Kenias auf mittlerweile etwa ein Fünftel zusammenschrumpfte, verursacht zunehmende Probleme: „Bevölkerungswachstum, Überweisung und Bodenerosion, sowie der Rückgang verfügbarer Weidegebiete sind verantwortlich für ständig abnehmenden Wohlstand und wachsende Unproduktivität der Viehwirtschaft“, faßt Birgit Duden, die als Ethnologin zwei Jahre mit den Maasai lebte und das Fotoprojekt initiierte, die Entwicklung zusammen.

Auf eindringliche Weise zeigen die Fotos und Texte der Maasai-Frauen, was das für ihren Alltag bedeutet: „Wegen der Dürre werden die Kühe immer weniger und weniger“, erklärt eine Gruppe das Foto, das einen Gemüsegarten zeigt. „Die Maasai müssen einen anderen Weg finden, um ihre Kinder zu ernähren. Die Maasai-Frauen verachten die Ackerbau treibenden Stämme nicht mehr, denn wir haben verstanden, daß die Leute wirklich stark sind, deren Kinder nicht hungern. Es ist Zeit für die Maasai, sich zu ändern.“

Wie in den meisten Kulturen sind es auch hier die Frauen, die neue Überlebensstrategien formulieren müssen. „Die Männer tun nichts, sie sitzen den ganzen Tag nur rum“, heißt es unter einem Bild, das die Herren der Schöpfung beim gemütlichen Schwatz zeigt. Wahrscheinlich kein Kaffeeklatsch, sondern eine Art Senatssitzung, denn die offiziellen politischen Entscheidungen sind hier allein den Männern vorbehalten.

Gleiches gilt für die Verfügungsgewalt über die Tiere, allein Männer dürfen Rinder verkaufen oder verschenken. Niedere Arbeiten wie Melken verrichten sie dagegen nur ausnahmsweise und wenn keine Frau in der Nähe ist.

Eine Tradition, der sich die Frauen offensichtlich nicht länger beugen wollen: „Wir haben all die Arbeit, aber die Tiere gehören uns nur dem Namen nach“, sagen sie. „Wenn es zu Entscheidungen über die Tiere kommt, haben Frauen keine Rechte. In der Vergangenheit waren wir Frauen blind. Wir haben die Vorteile von Besitz nicht gesehen. Jetzt wird uns klar, daß Besitz Sicherheit bedeutet.“

Ohne die dazugehörigen Texte würden sich die Fotos dem weißen Publikum kaum, oder doch ganz anders erschließen: Als wahre Idylle mag beispielsweise das Bild einer Frau erscheinen, die ihr Baby in bunter Tracht geschultert hat und unter dem blauen Himmel einer gelben Savanne ihren Durst löscht. Schönes heiles Afrika, pauschal exotisch! Doch was sagt die Maasai-Frau dazu?

„Dieses Bild zeigt zwei schlechte Dinge: Die Frau auf dem Bild war losgegangen, um Feuerholz zu suchen und Gras zu schneiden. Gleichzeitig mußte sie ihr Kind tragen. Sie mußte also schwer arbeiten. Nach einiger Zeit war sie so durstig, daß sie Wasser aus einer Schüssel trank, aus der zuvor eine Kuh getrunken hatte. Das ist sehr schlecht, denn es kann sein, daß dieses Wasser mit Krankheiten verseucht ist.“

Da geht sie hin, die Idealisisierung des Fremden. Wie bitte, die Maasai-Frauen träumen von Zementhäusern, weil sich in den ach so ökologischen und idyllischen Lehmhütten Schlangen und Skorpione einnisten?

Die Ausstellung macht klar, daß unser Sprechen vom Eigentlichen, Ursprünglichen einer Defintionsmacht unterliegt, die mehr mit unserer Sucht nach Exotik als mit der Realität der Maasai zu tun hat. Die uns zur Natur gewordene Tradition, derzufolge das Sehen weiß und das Gesehenwerden schwarz ist, wird aufgebrochen.

Daneben verfolgt die Ausstellung, ein gemeinsames Projekt der National Museums of Kenya und des Übersee-Museums Bremen, einen weiteren Zweck: Eingebunden in ein Entwicklungshilfe-Projekt, das „Elangata Wuas Ecosystem Managment Programme“, ist sie gleichzeitig Ergebnis wie Ausgangspunkt einer bislang selten stattfindenden „Entwicklungskommunikation“.

Aus den von den Frauen aufgezeigten Problemen wurden Förderprojekte abgeleitet, die die ökonomische Situation der Maasai verbessern sollen. Wasserpumpen wurden angeschafft, eine Baumschule für nachwachsendes Feuerholz angepflanzt, eine Straußenzucht organsisiert.

Ob sich dadurch für die Frauen etwas ändert, bleibt abzuwarten. Allerdings hat allein die Schau einiges in Bewegung gebracht, beobachtete Birgit Duden: „Die Ausstellung hat das Selbstbewußtsein der Frauen immens gestärkt. Sie Frauen haben ihre Scheu überwunden, über ihre Probleme in der Öffentlichkeit zu sprechen.“ Und wer weiß, vielleicht werden die Maasai-Frauen durch den Verkauf der Bilder demnächst auch mal zu eigenem Geld kommen. Dora Hartmann

Die Ausstellung ist bis zum 2.4.95 im Bremer Übersee-Museum zu sehen