Label Schinkel

■ Naives Vertrauen auf den Glanz des Zitats: Everdings "Zauberflöte" an der Deutschen Staatsoper Unter den Linden

Draußen tobt der Dachtraufen- und Architektenstreit über das neue Gesicht des alten Berlin, drinnen hat August Everding mit seiner Neu-Inszenierung der „Zauberflöte“ die Frage des Historismus schon entschieden: Es lebe das Zitat, das uns bezaubert und entzückt und der weit schwierigeren Aufgabe enthebt, eine inhaltliche Konzeption dieser hinreißenden, scheinschlichten „Zauberflöte“ neu zu präsentieren.

Wie ein Label steht zu Beginn der Schriftzug „Schinkel“ über dem gleichschenkeligen freimaurerischen Dreieck, das die Bühne verhängt – letztendlich erweist sich das Label als Menetekel: Friedrich Karl Schinkel, Architekt des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt, des Alten Museums ebenso wie der Neuen Wache, Schinkel war auch ein besessener Theatermann. Für das Berliner Königliche Schauspiel entwarf er 1816 die Bühnenbilder zur „Zauberflöte“, die jetzt von Fred Berndt zur Grundlage der Neu-Inszenierung gemacht wurden. Ich glaube, es gibt niemanden, so er oder sie die „Zauberflöte“ liebt, der sich nicht gewünscht hätte, einmal diesen blauen Sternenhimmel der Königin der Nacht wahrhaftig sehen zu können, diesen „größten Auftritt, der je für eine Diva erfunden wurde“, wie Everding sagt: auf einer Mondsichel herabschwebend, Herrscherin nicht nur der Nacht, sondern des Himmels, eine matriarchalische Figur voll Zorn über den Raub der Tochter Pamina.

Dieses Bild also ist wahrhaftig neu erstanden – und was damit geschieht, wiederholt und steigert sich im Verlaufe des Abends. Das lächelnd erkannte Zitat der Aufführungsgeschichte, die sensationell wiederhergestellten Prospekte von ägyptischen Tempeln, Humboldtschen Bäumen, bunten Fesselballons, lieblichen Landschaften bewirken eine ständige Distanz des Blicks, ein gewissermaßen theaterhistorisches Interesse, das verhindert zu erzählen, wozu doch dies alles in auffälligen Gang gesetzt wurde, die Fabel zwischen Menschen.

Und so treten also auf: drei Drachen, die aussehen, als seien sie der unendlichen Geschichte entsprungen, ein Einhorn, die ägyptischen Totengötter als putzige, pinkelnde, tanzende Hündchen, ein Dürer nachempfundenes Rhinozeros, brüllende Löwen auf vier Menschenbeinen und und und: Walt Disney und Defa, Empire und Berliner Biedermeier. Zwischen all diesen fazinierenden Bühnenbewegungen und Maschinen agieren die Sänger darstellerisch auf schmalstem und bescheidenstem Grat. Sie haben keinen wirklichen Raum, keine Ruhe, sind nicht geprägt durch irgendwie erkennbare Überzeugungen und Motive – und doch sollen sie ein Stück einsichtig machen, das musikalisch zum Anspruchsvollsten der Opernliteratur gehört. Wie finden die Welten der rächenden Nachtgöttin und des scheinbar oder wirklich versöhnenden Sarastro zueinander? Die freimaurerische Geheimgesellschaft der Tempelpriester, dieser tugendhafte Männerbund und die Frauenwelt der Königin und ihrer drei Damen sowie der Tochter Pamina, die aus der Nacht-Erd- Transzendenz-Welt der Mutter unfreiwillig in die Sonnenwelt des Sarastro verschleppt wird.

Erst die Liebe, dies ist die Botschaft, erst die Liebe, die sich geprüft hat auf den Tod, die Verantwortung übernimmt, ist fähig, eine Versöhnung einzuleiten. Das ist kein Spaßmacherthema. Die Prüfungen, denen Tamino und Pamina sich aussetzen, die den Tod durch Feuer und durch Wasser durchleben, werden in der Everdingschen Inszenierung mit den eher barocken Bühnenzitaten einer roten Höhle und blauer Seiden-Wasserbänder dargestellt, auf eine Naivität setzend, die inhaltlich verarmt, was sie inszenatorisch zu bereichern vorgibt.

Wie läßt sich heute diese allwissende väterliche Männerautorität des Sarastro noch darstellen? Was bedeutet ein Mordauftrag der Mutter an die Tochter? Was ist mit dem Vogelmenschen Papageno, der dem Genuß lebt und die Idee (scheinbar) nicht braucht? Was sind heute in diesem Licht die Ziele der Französischen Revolution (die „Zauberflöte“ entstand 1791), wo schwarz und weiß, hell und dunkel, die einfachen Farben nicht mehr funktionieren, wo das Freund-Feind-Denken gewichen ist, zum Glück, ohne daß sich aber die versöhnende Utopie schon wirklich gezeigt hätte.

Der Ort Berlin ist ein guter Ort für solche Fragen. An der Staatsoper, unter der brillanten und transparenten musikalischen Führung von Daniel Barenboim, ist diese Chance einfach durch den dingbesessenen Pragmatiker Everding vertan worden. Herausgekommen ist ein Spektakel, das ganz sicher als Touristenmagnet ein langes Leben haben wird. Sabine Zurmühl

„Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Inszenierung: August Everding; musikalische Leitung: Daniel Barenboim. Nächste Vorstellungen: 20., 23., 25. und 28. Dezember; 1., 4., 7. und 22. Januar 1995