Zwischen den Rillen
: Acid Listening

■ Alte Technologien: Platten von System 7, Laurent Garnier, Autechre

Abgrenzung, Ermüdung und Verschleiß gehen Hand in Hand, am Ende stehen sich Rave-Nation und Kirmes- Techno ziemlich deppert, aber unversöhnlich gegenüber. Und die Versuche, das diffuse Feld des neuesten Dancefloor zusammenzuhalten, enden häufig in durchaus bürgerlichen Spielarten von Gebrauchsmusik, zwischen Fahrstuhlbeschallung und Klangtapete fürs Wohnzimmer. Doch keine Abfahrt, sondern wieder ein Rückzug ins Private? DJ Sven Väth tanzt Ausdruck, Cosmic Baby himmelt Vater Vangelis an. Das ist nicht witzig.

Wenn man „Point 3“ von System 7 sowohl in der Dancefloor-orientierten „Fire“-Fassung als auch im völlig rhythmuslosen „Water“-Remix hört, kommt einem der Computer als neospirituelles Musikinstrument eher wie Notgepäck für die einsame Insel vor. Irgendwie ist in diesem Fluß aus elektronischem 70s-Gefummel trotz Punk, DAF, Disco, Industrial und Dub absolut gar nichts zu Bruch gegangen.

So wie Manuel Göttsching von Ash Ra Tempel mit „Sueno Latino“ den ersten Hit des Balearen-House hatte und bei Virgin auf einmal wieder unter „Underground“ im Plattenregal zu finden war, geraten auch mit System 7 gewisse Verbindlichkeiten, was Stil anbelangt, durcheinander. Derrick May, bastelnder Techno-Head aus Detroit, paßt sich ohne große Bauchschmerzen ins esoterische Geklimper von Steve Hillage, einst Mond und Fische anbetender Virtuose der alten Hippie-Truppe Gong, ein. Das Ganze will wirklich Projekt sein im spätaufgeklärten Sinn von Pop-Industrie. Der eine fiedelt unentwegt oberhalb der Bundstäbe auf seiner Gitarre, der andere programmiert etwas dazu. Daneben hält Youth von Killing Joke als Begleitrocker her, Londons Drum Club trommelt, und Miquette Giraudy gurrt wie eine Taube aus Übersee.

Es ist die sanfte Rache der Aussteiger: Wem du nicht schaden kannst, dem nütze. Plötzlich heißen Stücke „Mysterious Traveller“ oder „Gliding on Duo- Tone Curves“ und mucken entsprechend ziellos dahin. Ab und zu von einer Flöte animiert, hier mal balinesisch quakende Frösche, dort ein Flugzeuggeräusch. Ansonsten Sphären, Nebel und Gitarren, Verpackungsmaterial. Nett bis niedlich. Allerdings landet solcherlei auf Modernität getrimmtes Patchwork nicht mehr nur im Körner- und Körperladen, sondern tritt selbstbewußt in den Top of the Pops auf, bloß weil ein Beat drunterliegt. Aber der ist mittlerweile so oder ähnlich auch auf jeder anderen Platte – ob Orb oder Shamen – 4/4-lang swingend zu hören, und da stimmt es dann ein bißchen bedrückend, wenn ganz ohne Groove-Stütze die dröhnige Zufriedenheit eines eitlen New- Age-Musikers durchklingt, der expressive Töne lebt, die ihn nicht wirklich interessieren.

Auch Laurent Garnier hat bei System 7 mitgemixt, ist aber unbeschadet geblieben. Statt dessen hat er Hillage das sanft nachempfundene Gitarren- kreischen des Openers „Sirènes“ mit einem Grund-Beat am Boden festgetackert. Auf dem eigenen LP-Debüt nun bleibt zwar der ganz große Planet-Rave-Sex aus, aber was die Diskothekentauglichkeit angeht, spielt Garnier sehr mannschaftsdienlich. Das Tempo liegt immer bei heiteren 140 Beats pro Minute, nach einer halben Stunde kommt einem das verzahnte Geflecht aus Sequenzer-Schleifen und klappernder Rhythmusmaschine wie ein Schrittmacher zur morgendlichen Problemzonen- Gymnastik vor.

Garniers Qualität liegt in der freundlichen Gehetztheit, mit der sich bei ihm Cuts überlagern. Oft klingt die in Mikro- Einheiten zerlegte Melodie ein wenig zu spät aus, stolpert, rattert, zischt oder dringt nur bis zur Mitte des Stücks vor, um den Rest dann dem Lauf der Maschinen zu überlassen. Nachlässigkeit kann man dieser Art von Multiple-choice-Komposition nicht vorwerfen, eher macht sich der bübchenhafte Pariser DJ einen Jux mit der Abstraktion von Bekanntem. Alle Harmonien sind schon gemacht. Plötzlich wird etwas von Kraftwerk angescratcht, und Darth Vader aus Star Wars brabbelt: „May the Force be with you“. Daß sich diese Musik fast von selbst hört, hat mit der symmetrischen Architektur von Kurven und Taktschlägen zu tun: Acid Listening.

Weit, leer und melancholisch sind die Lieder von Autechre. Schon das Cover: Rosa Wanderdünen schauen dich an. Da wird man nachdenklich. In der Tat hat das Duo den Hang zum Tüfteln und Grübeln. Hinter jeder technischen Bastelei lauert die ganze fremde Traurigkeit des klassischen Homerecorders, der Hans Paetschens Märchen- stimme mit Quietschgeräuschen unterlegt, Mutti rasend macht oder einsam an Carpenter-ähnlichen Psycho-Film-Soundtracks webt; so ein wenig wie Ralf Dörper, bevor er zu den Krupps ging. Grau drängt es aus der Tiefe, wenn auf „Amber“ der Taktschlag einmal verschwindet. Neue-Musik-Partituren werden dann umgewälzt, wiederholt, bearbeitet. Bei „Yulquen“ schieben die zwei Sheffielder die Geschwindigkeit einzelner Töne hin und her, pitchen, daß kein Quintenzirkel mehr zum anderen paßt. Aphex Twin wartet in der Schleife. Natürlich klingt das manchmal grausam schief, wie rostig singende Sägen; aber die Technik fängt alles im richtigen Moment ab. Was vorher depressiv im Innern eierte, hallt nun auf weiter Flur. Trotzdem liegt in der avancierten Arbeit mit Material etwas angenehm Traditionelles, das güldene Handwerk manuellen Knopfdrückens. Den klappernden Snare-Schlag von „Silverside“ wiederum hatten schon Human League 1980 benutzt, und „Listen to the voice of Buddha“ darüber gesungen. Dunkel waren die achtziger Jahre. Ungemütlich. Harald Fricke

System 7: Point 3 als „Fire“/ „Water“-Alben (Big Life; CD). Laurent Garnier: „Shot in the Dark“ (F-Communications; CD). Autechre: „Amber“ (WARP/RTD; CD)