Irische Friedensdividende

Belfaster Investorenkonferenz: John Major wirbt für Nordirland / Wenig konkrete Zusagen / Hoffnungen auf den Tourismus  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die Wahl des Ortes hatte hohen Symbolwert: Das Belfaster Europa-Hotel mußte in den vergangenen 25 Jahren rund 40 Bombenanschläge über sich ergehen lassen. Erst in diesem Sommer wurde es mit bruchsicheren Scheiben ausgerüstet. Kurz danach kam es zum IRA-Waffenstillstand.

Am Mittwoch lud der britische Premierminister John Major die TeilnehmerInnen an der Internationalen Investment-Konferenz, die gestern zu Ende ging, zu einem Gala-Diner in das Hotel. 330 Delegierte aus den USA, Japan und den EU-Ländern waren angereist, darunter der US-Wirtschaftsminister Ron Brown. Die Botschaft, die Major ihnen einhämmerte: „Die Argumente für Investitionen in Nordirland sind überwältigend“, sagte der Premierminister, „Nordirland hat alles, was zum Erfolg und zum Wachstum nötig ist.“

Im Vorfeld der Konferenz war es zu Mißstimmungen gekommen, weil die britische Regierung ursprünglich Sinn Féin, den politischen Flügel der IRA, ausschließen wollte. Erst auf Intervention der US-Regierung gestattete man schließlich einer Handvoll Sinn- Féin-Stadträte die Teilnahme. Doch aus Protest gegen die ungleiche Behandlung – die anderen Parteien waren ohne Einschränkungen zur Konferenz zugelassen – boykottierte Sinn Féin die Konferenz. Ron Brown und andere US- Politiker betonten nun, daß künftige Beratungen „alle Parteien einschließen“ müssen.

Wie sich herausstellte, hat Sinn Féin nicht viel verpaßt. Wenn es darum ging, vor potentiellen Investoren Optimismus zu demonstrieren, war die Konferenz ein Erfolg. Konkrete Ergebnisse waren jedoch dünn gesät. Symptomatisch war Majors Ankündigung, daß Ford 15 Millionen Pfund (37 Mio. DM) in die Erweiterung ihrer Belfaster Fabrik für Motorenteile investieren werde – während ein Ford-Sprecher von zwei Millionen Pfund sprach. War Majors Rede irreführend? „Kein Kommentar“, antwortete der Ford-Sprecher.

Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis die Menschen in Nordirlands Arbeitervierteln, die vom Krieg am meisten betroffen waren, etwas von der „Friedensdividende“ spüren. Major umriß eine vage Initiative für Langzeitarbeitslose, die in den nächsten zwei Jahren rund tausend Menschen zugute kommen soll. Die Arbeitslosigkeit in Nordirland liegt im Durchschnitt bei 12,7 Prozent – und damit höher als in jedem anderen Teil des Vereinigten Königreiches.

Die Arbeitslosigkeit ist freilich nicht gleichmäßig verteilt; in manchen katholischen Vierteln West- Belfasts liegt sie bei 80 Prozent. Die diskriminierende Einstellungspraxis, die auch bei sämtlichen Staatsbetrieben vorherrscht, hat in diesem Jahr zu einem Boom an arbeitsgerichtlichen Prozessen geführt. Major versicherte den Delegierten, daß „die britische Regierung fest entschlossen“ sei, die unfaire Einstellungspraxis zu korrigieren. „Jeder muß in Nordirland den gleichen Zugang zu Arbeitsplätzen und zu den sich durch den Frieden neu eröffnenden Möglichkeiten haben“, sagte Major. Der Frieden werde schon „eine politische und ökonomische Transformation in Nordirland auslösen.“

Der Premierminister kündigte fünf verschiedene Industrieprojekte an, in die 74,5 Millionen Pfund (183 Mio. DM) investiert werden. Gerade 313 neue Arbeitsplätze sollen so entstehen. Die größte Einzelinvestition kommt von British Telecom, die umgerechnet 74 Millionen Mark für ein neues Bürogebäude in Belfast ausgeben will. Andere Unternehmen wie Du Pont und Fujitsu wollen zwischen 7,5 und 32 Millionen Mark in die Erweiterung ihrer bestehenden Niederlassungen stecken. Hinzu kommt das „Delors- Paket“ in Höhe von 600 Millionen Mark, das zusätzlich zu den Geldern aus den diversen EU-Fonds gezahlt wird. Auch die Europäische Investitionsbank versprach umgerechnet 735 Millionen Mark zinsgünstiger Kredite.

Die politischen Vertreter aus den USA hielten sich auf der Konferenz zurück. Ron Brown bescheinigte Majors Initiative zwar, daß sie vielversprechend sei, ließ jedoch durchblicken, daß das „echte Geschäft“ erst auf US-Präsident Clintons eigener Investment-Konferenz im April in Philadelphia über die Bühne gehen werde. Am schnellsten soll sich die „Friedensdividende“ im Tourismus bemerkbar machen. Hugh O'Neill, Chef der nordirischen Fremdenverkehrszentrale, geht davon aus, daß die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich in den nächsten fünf Jahren von 10.000 auf 30.000 steigen werde. Seit dem IRA-Waffenstillstand Anfang September sind Grundsteine für fünf neue Hotels gelegt worden. Das Potential ist gewaltig: Verglichen mit Südirland oder Schottland, steckt der nordirische Tourismus noch in den Kinderschuhen. 1,26 Millionen BesucherInnen kamen 1993 und brachten 173 Millionen Pfund. Seit dem Waffenstillstand hat sich die Zahl der Anfragen beim Belfaster Fremdenverkehrsamt auf 16.000 im Monat verdoppelt.

Eine vorweihnachtliche Bescherung gab es für Nordirlands Geschäftsinhaber: Täglich bringen hundert Busse und mehrere Sonderzüge südirische Shopper in den Norden, wo vieles billiger ist. Die Belfaster Handelskammer hat im Oktober einen Weihnachtsumsatz von 330 Millionen Pfund vorausgesagt. Diese Zahl mußte nun nach oben korrigiert werden.