Jahnn-Geburtstag: Jedem seine Rosine

■ Im Literaturhaus zeigten seine Fans und Gegner ein buntes Allerlei der Ansätze vor

Hans Henny Jahnn ist und bleibt sperrig – auch und gerade während der zu seinen Ehren veranstalteten Zentenarsfeier (übrigens ein zutiefst unglücklich bildungsprangendes Wort, aber das nur nebenbei). Auch wenn etwa dieFrankfurter Rundschau anderes vermutete: In den Status eines Klassikers konnte der so widersprüchliche Dichter nicht gehoben werden. So bleibt er uns erhalten, als Streitobjekt, als Herausforderung, auch als Zumutung. Und aus den Veranstaltungen zu seinem 100. Geburtstag konnte jeder seine Rosine herauspicken; es gab reichlich davon.

Wer es brauchte, konnte sich abholen, was seinen Fans bisher kaum zuteil wurde: öffentliche Anerkennung. Wo gibt es das schließlich schon, daß der Bürgermeister einer Millionenstadt sowie seine Kultursenatorin sich zu einem Schriftsteller bekennen, der – zu Unrecht oder nicht – mit dem Ruch des Skandalösen behaftet ist? Auf einem Kongreß, einer Ausstellung und einer Vielzahl anderer Veranstaltungen konnten Jahnn-Leser viel dazulernen. Und zukünftige Jahnn-Leser bekamen eine Neuausgabe seiner Werke in die Hand; die Jahnn-Kassette bei Hoffmann und Campe stellt wohl auf lange Sicht das wichtigste Ergebnis der Geburtstagsfeierlichkeiten dar.

So bleibt – auf höherem Niveau, und das ist doch ein sehr schönes Ergebnis – alles wie zuvor. Privat kann man Jahnn jetzt besser lesen. Und öffentlich läßt sich weiterhin trefflich über Jahnn streiten.

Um letzteres zu tun, versammelten sich am Donnerstag exponierte Jahnn-Fans und -Gegner auf dem Podium im Literaturhaus. Um es vorweg zu sagen: Die Teilnehmer waren gut gewählt. Allerdings nicht eigentlich im intendierten Sinn eines Streitgesprächs. Dessen Spielregeln erfordern eine klar umrissene Pro-und-contra-Front, die die Diskutierenden nicht boten (sie wäre auch nur künstlich gewesen). Den vielleicht nicht beabsichtigten, aber doch auch lobenswerten Ansatz, möglichst viele Herangehensweisen an das Jahnnsche Werk zu präsentieren, erfüllte die Veranstaltung jedoch bravourös.

Das Frühwerk Jahnns wurde auf das Thema Onanie reduziert und als dessen Zentrum die Allmachtsphantasien und Ohnmachtsgefühle eines einsam in seinem Bett liegenden Jungen geortet (Wolfgang von Wangenheim). Jahnn wurde ansatzweise in Richtung einer totalisierenden Kritik der christlich-abendländischen Vernunft gelesen (Ulrich Greiner). Die in dem fast schon legendären kleinen Band Weiberjahnn vorgetragenen Thesen wurden verteidigt (Regula Venske). Die Parataxe als herausragendes Stilmittel Jahnnschen Schreibens wurde differenziert verteidigt (Uwe Schweikert). Und schließlich wurden aus dem Werk einzelne Zitate gepflückt und mit hübsch gedrechselten Anmerkungen versehen (Ulrich Holbein).

Ein buntes Allerlei der Ansätze – unbefriedigend für den, der sich Hilfe bei der doch oft so aufwühlenden Lektüre dieses Autors erhoffte. Aber das tat ja wohl auch keiner. Denn das, worum es geht, die ästhetische Erfahrung der Texte, muß bei solchen Abenden außen vor bleiben. Dirk Knipphals