Im Zweifel für das Kindeswohl

■ Karlsruher Richter gegen Abschiebung eines 7jährigen nach Ex-Jugoslawien / Großvater lebt in Hamburg und hat die Vormundschaft Von Kaija Kutter

Das Schicksal des kleinen Vulnet E. könnte bald entschieden sein. Die Hamburger Ausländerbehörde will den 7jährigen Jungen ins ehemalige Jugoslawien abschieben, obwohl seine Eltern als verschollen gelten (taz berichtete). Wenn das „Kindeswohl“ es erfordere, so urteilten jetzt die Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, werde der Aufenthalt des Jungen in Deutschland zu dulden sein.

Vulnet wohnt bei seinem Großvater, der seit 20 Jahren in Hamburg lebt und inzwischen auch die Vormundschaft für seinen Enkel hat. Vulnets Eltern, mit denen er im November 1992 aus dem umkämpften Bihac geflohen war, mußten bereits im Februar 1993 Deutschland verlassen, weil sie nicht weiter geduldet wurden. Letztes Lebenszeichen, das der Großvater von dem Ehepaar erhielt, war ein Telefonanruf vierzehn Tage später. „Vermutlich sind sie tot oder im Konzentrationslager“, befürchtet Rechtsanwalt Hans-Werner Friedel.

Doch wer in dieser Situation auf unbürokratisches Handeln der hiesigen Ämter hoffte, wurde enttäuscht. Für die Ausländerbehörde war der Nachweis, daß der Junge Vollwaise ist, nicht erbracht. Im August 1993 wurde die sofortige Vollziehung der Abschiebung angeordnet. Rechtsanwalt Friedel stellte Anträge auf „Aufschiebende Wirkung“ beim Hamburger Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht. Beide Kammern lehnten ab. Begründung: Das Kind könne auch bei Verwandten in Mazedonien leben, wenn die Eltern tatsächlich unauffindbar sein sollten.

Als letzten Schritt legte der Hamburger Anwalt vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe Beschwerde ein. Diese wurde zwar aus Fristgründen formal abgelehnt, in der Sache aber gaben die Richter ihm Recht. So heißt es im Anhang: „Im vorliegenden Fall ist zu beachten“, daß die sich aus Artikel 6 des Grundgesetzes ergebende „Schutzpflicht des Staates“ Anlaß für eine über die „in den Ausgangsverfahren hinausgehende besondere Berücksichtigung des Kindeswohls geben kann“. Der Aufenthalt des Jungen werde, wenn es das Kindeswohl erfordert, „zu dulden sein“.

Friedel sieht in dieser Formulierung, die ihm am Donnerstag zugesandt wurde, einen kritischen Fingerzeig für die Hamburger Verwaltungsgerichte, die eben diesen Aspekt des Kindeswohles nicht hinreichend gewürdigt haben.

Eine deutliche Entscheidungshilfe, so Friedel, sei das Urteil für den Eingabenausschuß der Bürgerschaft, dem seit März eine Petition für die Duldung des Jungen vorliegt. Der Ausschuß hatte noch nicht entschieden, weil die Recherchen der Ausländerbehörde abgewartet werden sollten, ob die Großeltern mütterlicherseits in Mazedonien das Kind aufnehmen könnten. Eine Stellungnahme der Ausländerbehörde war gestern bis Redaktionsschluß nicht zu bekommen.

Bestätigt sehen dürfte sich auch der Harburger Vormundschaftsrichter Ulf Panzer, der im Februar der Ausländerbehörde per einstweiliger Anordnung verboten hatte, das Kind von seinem Vormund zu trennen. Leider wurde dieser mutige Urteilsspruch vom Landgericht Hamburg wieder einkassiert. Die Entscheidung in dritter Instanz steht noch aus.