Weihnachtsmänner, Weihnachtsfrauen (4)
: Baumvernichtung diskutiert

■ Heute: Heiligabend bei Eike Hemmer

Weihnachten 1967 in der berühmten Berliner Kommune K2. Hitzige Diskussionen, wie ein „Kommuneweihnachten 67“ auszusehen hätte angesichts der Konsumorgien und der einmal mehr sich entlarvenden bürgerlichen Doppelmoral. Zentraler Streitpunkt: beide Kommunekinder sind vom Warencharakter des Festes nicht zu überzeugen. Zwei geschlagene Nächte lang stehen beide Positionen unvereinbar gegeneinander:

1) Weihnachtsbaum plus gemütliches Beisammensein (Eike, Dagmar, Klaus); oder

2) „chaotische Vernichtung weihnachtlicher Gefühlsseligkeit“; Weihnachtsrequisite nur zum Zwecke ihrer Zerstörung; Festessen als Orgie; ein Weihnachtsbaum nur, „damit die Kinder ihn zerhacken und für ihre Spiele umfunktionieren können“ (Marion, Eberhard).

„Eike“ ist Eike Hemmer, damals 29, Soziologe, SDS, sah aus wie Jesus – heute 57 und Betriebsrat in einem großen Bremer Unternehmen, das bis letzten Mittwoch Klöckner hieß. Er blättert in einem abgewetzten Buch, das die K2 seinerzeit über sich publizierte, und ist verblüfft, daß er damals wirklich für eine innige Feier plädiert hatte – allerdings ging es 1967 um die glänzenden Augen seines vierjährigen Sohns Nessim. Die Kinderfraktion setzte sich schließlich durch, weil es gelang, hinter einem Teil der radikalen Forderungen „enttäuschte Wünsche aus der eigenen Kindheit“ zu entdecken.

„Kollektives Abspannen, Ruhe“ findet er heute noch so wichtig wie damals. Das sei, sagt der „fundamentalistische Atheist“, der Sinn des Weihnachtsfestes (und drum ist Flexibilisierung der Arbeitszeit zu kritisieren, die bewirkt, daß bald jeder für sich allein sein Päusken macht).

Anfang der 60er war das liebevolle, harmonische Weihnachtsfest für die nachgeborenen Kinder der Mörder (sein Vater war bei der Waffen-SS) ein „schreiender Widerspruch“ zur Realität der unerledigten Nazizeit. Eike durfte eine Weile hoffen, daß eine neue Welt (=die Revolution) von den studentischen Avantgarden ausging. Später setzte er auf den starken Arm der Arbeiterschaft und ging in den Betrieb, zu Klöckner nach Bremen. Einen biografischen Irrweg lang glaubte er auch an die Morgenröte aus Albanien (KPD-ML). Heute erkennt er in der Weihnachtsfeierei den Wunsch der Menschen nach einem Augenblick des Friedens ohne Angst und Unterdrückung – wobei der Kaufrausch in der City sich allerdings in nichts unterscheide vom Stress in der Fabrik.

Einmal war Eike tief religiös: mit 10, 12 Jahren; da erlebte er, ängstlich, verzweifelt, den Trost der Religion. (Der Konfirmand war dann schon innerlich ausgetreten, der 19-jährige auch äußerlich.) Darum hat er Verständnis, z.B. für die „Illusion, es gebe ein Wesen, das sich um die Menschen kümmert.“ Selbst den Weihnachtsbaum läßt er leben, bittesehr, als Symbol. Zwar hofft er alle Jahre wieder, daß er um den Tannenbaum herumkommt, aber seine Älteste (18) bettelt regelmäßig: „Nur dieses eine Jahr noch!“ Was tut man nicht alles für die Blagen.

Ein Umgang mit Weihnachten ist ihm versperrt: der spielerische. Als Eike neulich im Waller Kabarett der literarischen Gewalttätigkeiten vom Kabarettisten Reineking-Drügemöller aufgefordert wurde, Weihnachtslieder zu schmettern, bekam er keinen Ton raus: „Da stockte es in mir.“ Hat wohl noch immer nicht seinen Frieden mit dem Fest des Friedens gemacht?! „Mit der bürgerlichen Gesellschaft auch noch nicht!“ kontert Eike Hemmer grimmig, ja blitzenden Auges. BuS