■ Überraschung aus Bratislava: Freddie Mercury – er lebt!
Prag (taz) – Jetzt bitte nicht neidisch werden! Nur weil das große Glück mit ihm auf den Beinen ist. Da steht er. Ein Mann, der nicht nur Frauenknie zum Schlottern bringt. Schwarze Lederhose. Kugelpopo. Knackiger Oberkörper, Schultern wie ein Möbelpacker. Schwarzbraune Augen, verheißungsvolle Blicke (und ein Schnauzer, naja). Da singt er. Leidenschaft. Opernhaftes Flattern in der Stimme. Die Arme rudern im Takt. Die Beine, gespreizt.
Paul hat's früh erkannt. Schon im Knabenalter, als noch Pickel sein Gesicht kreuzten, zog er mit seiner Band von Garage zu Garage und sang die Lieder von Freddie Mercury. Inzwischen hat seine Einbildungskraft fast jenen Grad errreicht, an dem er behauptet: „Ich bin Freddie.“ Natürlich nicht richtig. „Freddie ist das Genial, nicht ich“, so Paul. Sein Äußeres komme dem des Stars jedoch derart gleich, daß ihn die Menschen nicht selten verwechselten, ihn um ein Autogramm bäten. Selbst TV- Sender haben ihn entdeckt. Für das BBC-Programm „Rough Guide“ saß Paul am Flügel und imitierte das große Idol. Wie Mercury durfte er die Intensität der Songs durch das Vorschieben seines geöffneten Mundes unterstreichen. „Ich bin drogenabhängig“, sagt der 32jährige Paul, der eigentlich Pet'o Pačut heißt, „und meine Droge ist Queen. Das ist mein Opium.“
Allerdings muß man hinzufügen, daß Pauls Leben als Freddie nicht immer so glatt läuft. Als 1992 eine Sondershow im britischen Fernsehen zur Erinnerung an den im November 1991 an Aids verstorbenen Queen-Sänger lief, hatte man Paul einfach ausgelassen. Zwei Wochen vor dem Happening – Paul war bereits total überdreht – fuhr er nach London. Er setzte alles daran, um in der Show singen zu dürfen. Eine Dame aus dem Veranstalterteam teilte ihm jedoch mit, daß die Anmeldefrist bereits seit drei Monaten verstrichen sei. Paul war traurig. Aber er gab nicht auf. Die Nacht vor dem großen Ereignis im Wembley- Stadion verbrachte Paul vor dem Einlaß. Als sich tags drauf die Tore öffneten, raste Paul nach vorn. Wer heute einen Blick auf das Video wirft, könnte meinen, Mercury selbst stünde in der ersten Reihe. Tja, so ist Paul.
Nach Mercurys Tod fiel Paul in tiefe Depressionen. Ein Gefühl der Leere marterte seine Seele. Bis einen Monat später ein Freund von Paul kam. Und ihn bat: „Von heute an wirst du nichts anderes mehr machen als Queen-Lieder zu singen. Eine richtige Hysterie setzte ein. Pauls Freunde aus dem slowakischen Ort Samorin riefen gar eine Stiftung ins Leben. Im Dorfpark steht mittlerweile ein Mercury-Denkmal. „Mercury“, darüber sind sich die Stiftungsgründer einig, „war ein ehrlicher Mensch, wenngleich nicht so gewöhnlich, nicht so opportun.“
Für Paul sind Tschechien und die Slowakei rentable Absatzmärkte geworden. Seine Shows sind Halb-Playback. Seine CD heißt „Ein Gebet für einen Freund“. Weihnachten soll es eine weitere Scheibe geben. Paul hat aufs richtige Pferd gesetzt: Schon während des Kommunismus waren die Queen-Scheiben in den mittelosteuropäischen Ländern begehrte und erwerbbare Westprodukte. Mittlerweile versucht Paul den Mythos Mercury in Spanien wachzuhalten. Sein größter Queen-Traum: auf Ibiza singen, „weil Freddie dort sehr viel Zeit verbrachte“.
Ein großes Malheur: Wenn Paul seine Bratislava-Ga-Ga oder das „Ave Maria“ singt, kann er seinen slowakischen Akzent nicht verbergen. Und auch ganz privat unterscheidet ihn etwas Grundlegendes von der Queen-Ikone: Er ist strunzhetero. Tomas Niederberghaus
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