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Ullas Null-Mark-Show, Applaus!

Auf Pilgerreise zur heutigen 100.000-Mark-Show von RTL – Klatschlektionen, Heiligenverehrung, Götterdämmerung und keine Sieger  ■ Aus Hilversum Bernd Müllender

Die Show ist in vollem Gange. Da passiert es: Ausgerechnet mich bittet Moderatorin Ulla Kock am Brink nach vorn ins Scheinwerferlicht. Nicht in irgendeinem Hinterhofkabarett, nein: im Fernsehen! Vor einem Millionenpublikum!

Aufmunternder Applaus – Treppe, Bühne, Rotlicht. Ich stottere was von: Guten Abend, Frau Schreinemakers, äh Entschuldigung: Frau Gottschalk, äh Göttin ... Vereinzelt Gekicher im Publikum. Ogottogott, bin ich nervös. Mein Name? Ganz durcheinander gerate ich in eine Zeitschleife und murmele was von: Neuss, Wolfgang Neuss, äh. Vereinzeltes Gemurmel. Ja, wie mir denn die Show gefalle? Großartig, sage ich, genau wie es heute morgen in der Zeitung stand. – „Bitte?“ – Ja, haben Sie denn nicht die taz gelesen, heute, 17. Dezember, Reportage Seite 11? – „Was???“ – Ja, da stand doch haarklein, was hier heute abend passiert ist: Wer warum gleich ausscheidet, wer sich in das gruselige Schlangenterrarium traut, und vor allem die Frage aller Fragen, ob denn heute zum Finale furioso der 100.000-Mark-Safe geöffnet wird. Der Aufnahmeleiter fuchtelt wild umher. „Das ist ja ...“ Na wissen Sie, Frau KaB, wenn Sie so eine Show vorher aufzeichnen ... Haha, und Dieter Borsche knackt nachher noch als Ehrenmörder den Safe und klaut Ihnen das Halstuch, jawoll. Das Publikum buht. Verrätersau! Weg mit diesem Neo- Neuss! Den Rest erledigten zwei stämmige niederländische Sicherheitsgestalten.

Die 100.000-Mark-Show von RTL. Produziert wie so viele andere in Hilversum. Einer der derzeitigen Quotenhits im deutschen Fernsehen. Bis zu zehn Millionen sehen samstags abends zu. Die heutige Folge um 20.15 Uhr wurde Ende November aufgezeichnet.

Alles begann mit einem kopierten Zettel beim Bäcker um die Ecke: „RTL Fernsehproduktion: Möchten Sie einmal als Zuschauer live dabeisein? Kurzfristige Buchung möglich! Preiß 38 DM“ (jawohl Preiß, nicht Preis). Anruf beim „RTL Ticket-Dienst“: „De Traumhochzeit is voll, Sörpreiß- Scho auch, jeht imma sehr schnell bei der Linda de Mol, jaa, aber da isn Pilotsendung mit Eva Maasmann, da gastiert Spasz un Kaoss.“ Nein, lieber Ulla Kock am Brink. Okay? Gebucht. „Bringen Sie die 42 Mark mit. Bis dann.“

Im Bus kassiert Reiseleiter Josef B. dann die 45 Mark. Und erzählt von seinem Leben als Fernsehfan aus Leidenschaft. Er liebt Shows aller Art, himmelt die Stars an und ist fast überall Stammgast. „Ich mach das aus Idealismus“, sagt er. Dutzende Male pro Jahr fährt B. zu den Talkheiligen, Mattscheibengurus, Showgöttern und vor allem -göttinnen. Manchmal privat, meist aber als RTLs (nichtbezahlter) Reiseleiter und bringt ihnen dann eine neue Gemeinde von Gläubigen in die Studios. Josef B. ist eine Art moderner Hermes, ein Fernseh-Götterbote.

Mit einem Klatschprofi proben wir die Handarbeit

Einer der Pilger hat die Reise bei einem Radioquiz gewonnen. „Da happ isch der rischtije Riescher jehapt.“ Fragen mußte er beantworten übers Autotelefon. Vorne tauschen zwei ihre Mallorca-Erfahrungen aus, hinten bringt sich der „Fan-Club“ des Aachener Teilnehmerpaares in Stimmung. Eine, erfahren in solchen Wallfahrten, meint: „Man muß da klatschen wie eine Affenherde.“ Drei Stunden lang trällert pausenlos deutsches Schlagergut über Bordlautsprecher, und Götterbote Josef B. verspricht: „Normalerweise gibt es bei der Ankunft gleich ein Büfett. Garantieren kann isch das nisch, aber das wird wohl schon ziemlich in Ordnung gehen.“

Ankunft in Hilversum. „Die größte Fernsehfabrik Europas“, sagt Josef B. leuchtaugig, als wir die John de Mol Studios erreichen und läßt seinen massigen Arm rundherum schwenken. „Das iss alles Fernsehn, alles.“

600 Menschen stauen sich im bahnhofshallenartigen Studiovorraum. Das Begrüßungsbüfett steht bereit: kaffeeartige Flüssigkeit, pappige Brötchenberge in Zellophan, Meterwarenkuchen. Die Holländer gelten zu Recht als weltweit unerreichbar in der Herstellung von billigem wie massenhaftem Magenfüllmaterial.

Die verbale Begrüßung ist eine lange Liste von Verboten: im Studio kein Rauchen, Trinken, Essen, keine Wintergarderobe, kein Filmen oder Fotografieren (ein einziger Blitz könne, heißt es grob geflunkert, eine Hightechkamera irreparabel kaputten). Und es herrsche striktes Pinkelverbot: „Wenn Sie einmal drin sind, geht es nicht mehr raus. Besuchen Sie nochmal unsere gekachelten Räume.“ Dann erste Warmjubelversuche. Im Gänsemarsch wird die Gemeinde in die scheinwerferdurchflutete Kathedrale des Glücks geführt. Sogleich beginnt das Warm up: Mit einem neuen Klatschprofi proben wir die Handarbeit, es heißt: „Appläuse üben.“ Nie ist es laut genug. „Nein, das erinnert mich an Gesundheitsmagazin Praxis, ein Beitrag über Schweißfüße.“ Lachen rundum. Steigende Phonzahlen. Der Meß-Diener sagt, die Kameras müßten schon jetzt „einige Schüsse machen“, die dann später eingeblendet würden. Es wird lauter. Wir funktionieren prächtig. Ein paar Zuschauer werden noch umgruppiert. Die hübsche Blonde mit dem tiefen Dekolleté muß an den Rand. Wo nachher die Kamera langschwenkt. „Und hier ist sie: Ul-la-Kock-am- Brink!“ Klatschdiakon ab – Göttin Ulla auf. Riesenapplaus.

„Lady Zack-Zack“ heißt sie in der Branche, kommt aus Bottrop, hat früher mal versuchsweise Pädagogik studiert. Blond ist sie – das scheint bei den John-de-Mol-Produktionen Pflicht. Die acht Kandidaten (qualifiziert aus 5.000 BewerberInnen) heißen Matadore oder Gladiatoren. Dies sei die härteste und gnadenloseste Show Deutschlands, sagt die Ulla. Los geht's, und das Aachener Paar scheidet gleich beim Qualifizierungshindernisrennen aus. Ein (Löwen-)Gitter bremst sie. Mit Gruß aus dem alten Rom.

Die TeilnehmerInnen sind zum Verwechseln ähnlich, austauschbar. Alle Mitte zwanzig, markante Yuppie-Physiognomie, sportlich, dynamisch.

Eine Biologiestudentin lobpreist die Gentechnik, mit der sie später den Gemüsen an die Erbanlagen will. Applaus! Einer ist Kampfflieger bei der Bundeswehr und läßt sich von seinen Kollegen, die mit „Flying-Monsters“-Hemdchen und -Transparent im Publikum sitzen, bejubeln. Applaus für die Tornadobomber.

Aufgezeichnetes Live braucht Umbaupausen. Das Publikum hält sich mit Gesangseinlagen bei Laune. Eine gibt ein Gedicht an „unsere Ulla“ zum Besten. Darin reimt sich Show auf weiter so und alle froh. Prasselnder Applaus ohne jeden Winkbefehl. Wahre Huldigung kommt aus dem Herzen. Manche Spiele wirken wie vor gut zwanzig Jahren bei Dietmar Schönherr und Vivi Bach in „Wünsch Dir was“ abgeguckt – insbesondere die Nummer im Schlangenterrarium: Kopfüber sollen sich die Kandidatinnen in einen durchsichtigen Kubus hinabsenken lassen, um mit dem Mund einen Apfel hochzuholen, der von allerlei Schlangen, Echsen, Tausendfüßlern und Riesenspinnen „bewacht“ wird. Die ersten beiden weigern sich, die dritte tut's (wie abgesprochen) – wofür sonst auch der ganze Aufwand?! Sie überlebt ungebissen. Und wieder hampeln Einpeitscher wie wild zwischen Kameras und Publikum, auf daß wir die Hände bis zur Rötung aufeinanderknallen lassen.

Die Apfelnummer gab viele geldwerte Punkte. Beim martialischen Außenspiel, per Videoleinwand übertragen, muß ein brennender Bohrturm gesprengt werden. Kerstin und Michael schaffen es. Sie sind die Sieger. Die Zweitplazierten gewinnen ein paar tausend Mark und einen Geländewagen. Einer der aufgereihten Schnauzbarte von den Tornado- Monsters addiert die Werte („40 Mille bringt die Karre sicher“) und bilanziert erfreut: „Ordentlich, sauber.“

Die inszenierte Gier nach Mammon lebt vom Prinzip Gefahr – fast wie bei Wolfgang Menges Millionenspiel 1969. Ob Ulla KaB es weiß oder ahnt, auch wenn sie damals kaum zur Schule ging? Einmal sagt sie: „Das ist ja hier so spannend wie bei Walter Spahrbier früher.“ Applaus. Aber er kommt nicht mehr so wie beim Üben, das Kulissenvolk schlafft hörbar ab. Wie gut, daß die Frühschüsse später zwischengeschnitten werden können.

Dann der Showdown – im Wortsinn. Die Sieger müssen Fragen beantworten und scheitern an der Aufzählung bedrohter Tierarten. Dann müssen sie Formel-1-Piloten aufsagen und Michael, der angab, Sportreporter werden zu wollen, fällt nichts ein. Ha! Bleiben drei blinkende Zylinder – nur einer ist richtig, nur dann paßt der Schlüssel zum gigantesken Safe. Die beiden wählen die Nummer sechs. Der Safe klemmt. Es gibt nix. Das Aus. Willkommen bei der Null-Mark-Show! Die Sieger sind Verlierer und sehr enttäuscht. Ja, so ist das Leben. Mitgefühl, Schadenfreude und Schlußapplausapplausapplaus.

Über vier Stunden waren wir in der Studiohitze. Ohne Pause. Ohne eine Zigarette. Ohne einen Tropfen Wasser. Jetzt endlich mit zusammengekniffener Blase raus aus dem Käfig. Wo nur sind die gekachelten Räume?

Doch wahre Huldigung kommt aus dem Herzen

Draußen, wo gut zwei Dutzend Busse in Reihe warten, stinkt es ekelhaft penetrant nach Benzin und Feuer: Es hat das Explosionsspiel wirklich gegeben.

Götterbote Josef B. erzählt auf der Rückfahrt von sich selbst. Arbeitslos sei er und wohne mit 42 noch bei den Eltern. Vor drei Jahren habe ihn das Fernsehen „nach einigen persönlichen Problemen psychisch wieder hochgebracht“. Zu Hause habe er 100 Videobänder, auf denen er im Publikum irgendwelcher Shows zu identifizieren ist. Einmal habe er auch als Kandidat mitgemacht und 2.000 Mark gewonnen („dafür gleich einen neuen großen Stereofernseher gekauft“). „Wollen Sie im Dezember zum Meiser, zur Ilona Christen? Die kennen mich alle persönlich.“ Überhaupt Hans Meiser. „Der ist mein Idol. Da war ich schon 70mal. Und der hat mir als Mann sogar mal einen Strauß Blumen überreicht.“

Mitten in der Nacht sind wir zurück. Gut 14 Stunden hat die Wallfahrt gedauert. Die Klatsch-und- Jubelarbeit wird auf 90 Minuten zusammengeschnitten. Man muß die Fernsehheiligen schon sehr lieben. „Aber et war doch schön“, sagt eine zum Abschied. „Genauso wie im Fernsehen, nur anders.“ Wie anders? „Ja, eben so live.“

P.S. Zu verraten ist, daß ein Zuschauer im feuerroten Jacket heute abend mehrfach ganz heftig gewinkt hat. Exklusiv für alle taz- LeserInnen! Und zu gestehen ist, daß die Einleitungsszene nur der Traum von wahrhaft interaktivem Fernsehen war. Und dennoch: Hätten Kerstin und Michael doch die taz gelesen, 100.000 Mark wäre es wert gewesen. Zylinder zehn hätten sie wählen müssen!

Jetzt, so kurz davor, ist es zu spät.

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