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Kriegsherr holt Friedensengel

■ Jimmy Carter fliegt auf Einladung des Serbenführers Karadžić nach Bosnien

Sarajevo (dpa/rtr/taz) – Heute wird der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter auf Einladung des bosnischen Serbenchefs Radovan Karadžić zu „Friedensvermittlungen“ in die bosnische Hauptstadt Sarajevo fliegen. Dies meldete gestern der US- amerikanische Fernsehsender CNN. Nach anderen Quellen ist über den Termin für eine Vermittlungsreise Carters jedoch noch nicht entschieden. Unklar blieb gestern auch, ob Carter die jüngsten Vorschläge von Karadžić als Grundlage für Verhandlungen über ein Ende des Krieges in Bosnien akzeptieren wird.

Karadžić hatte am Mittwoch abend einen Sechs-Punkte-Plan vorgestellt, der unter anderem die Öffnung des Flughafens von Sarajevo und völlige Bewegungsfreiheit für die UN-Blauhelme vorsieht. Zugleich hatte er Carter, der seine Fähigkeiten sowohl bei der Haiti-Krise als auch im Atomstreit mit Nordkorea unter Beweis gestellt hat, zu einem Vermittlungsversuch eingeladen. Gestern erklärte der Serbenchef dann, er sei bereit, mit Carter auch auf Grundlage des „Friedensplans“ der internationalen Bosnien-Kontaktgruppe zu verhandeln. Nach Ansicht verschiedener Beobachter entspricht Karadžićs Sechs- Punkte-Plan jedoch lediglich früheren Forderungen der UNO, neue Vorschläge zur Beendigung des Krieges enthalte er nicht. Die US-Regierung machte deutlich, daß sie einen Vermittlungsversuch Carters nur dann unterstütze, wenn Karadžić zuvor seinen Plan in die Tat umsetze. Gestern erklärte der Serbenführer zwar, seine Truppen hätten das Feuer auf Sarajevo eingestellt und der Flughafen der Stadt sei wieder offen, doch eine Bestätigung der UNO hierfür gab es nicht. Bosniens Präsident Izetbegović übte an Carters Vorstoß scharfe Kritik und sagte, die Reise würde „dem Friedensprozeß schaden“. Auch die Mitglieder der Bosnien-Kontaktgruppe beurteilten die Vorschläge des Serbenchefs mit Skepsis: Das russische Außenministerium lehnte Karadžićs Plan gestern rundweg ab und äußerte seine „Enttäuschung“. Nur UN-Generalsekretär Butros Ghali begrüßte die Initiative: Der frühere US-Präsident habe zugesichert, seine Bemühungen mit den UN-Vermittlern für Jugoslawien zu koordinieren.

Einen offiziellen Auftrag für seine Mission soll Carter nach CNN-Angaben nicht erhalten haben. Er reise als „Privatmann“. Am Donnerstag habe Carter jedoch ein ausführliches Gespräch mit US-Außenminister Warren Christopher über die Lage in Bosnien geführt. Währenddessen gingen die Kämpfe um die von serbischen Verbänden belagerte Stadt Bihać weiter.

Die Bundesregierung will am Mittwoch nächster Woche die Nato über den Umfang der Unterstützung durch die Bundeswehr bei einem Abzug der UN-Soldaten aus Bosnien unterrichten. Wie aus Koalitionskreisen verlautete, steht fest, daß die deutschen Streitkräfte beim Rückzug aus Bosnien mit rund 3.000 Soldaten, zehn Tornado-Kampfflugzeugen, einer Anzahl von Transall-Transportmaschinen und Schiffen der Bundesmarine helfen werden. Auch die Einzelheiten der Hilfe wurden bereits erörtert, werden aber geheimgehalten. Die endgültige Entscheidung über den Einsatz soll auf der letzten Kabinettssitzung dieses Jahres am kommenden Dienstag fallen. her Seite 10

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