Genuß oder Prüfung

■ Volksbildung mit der „Liedertafel Margot Honecker“

Die Mopo kann einem aber auch alles verderben. Da outen sie die GenossInnen der Liedertafel Margot Honecker als „geltungssüchtige Yuppies“, die nur „ein paar West-Mark abzocken“ wollen. Als „übliche Masche“ weisen die Jung-MusikerInnen diese Anfeindungen zurück. Zu ihren „Volksbildungsmaßnahmen mit Lichtspielen“, zu denen sie zusammen mit der „Kommunistischen Einheitspartei Deutschlands“ (KED) eingeladen hatte, strömten die Massen jedenfalls in Scharen.

Im ausverkauften Metropolis Kino begann der Eklat am Freitag abend auch schon mit der Verzögerung der für 21 Uhr pünktlich angesetzten Veranstaltung um eine halbe Stunde. Das Publikum ließ dann die erbaulichen Reden zweier Genossen über sich ergehen und stellte unter Beweis, daß es das übliche Parteitags-Applaus-Stakkato nicht beherrscht. Statt dessen kamen Beifalls-Attacken an den unmöglichsten Stellen, die geeignet waren, die Redner aus dem Konzept zu bringen (ohne Erfolg).

Zweifelsohne Höhepunkt des Abends waren die live vorgetragenen Sangesstücke der Liedertafel. Daß bei „Pionier zu sein fetzt ein“ Erich Honecker vom Rednerpult fiel (das Photo), war dem bisweilen doch überschäumenden Temperament zu verdanken. Kurt Euler blieb seinen Auftritt schuldig, obwohl zaghafte Rufer auf den Parteivorsitzenden nicht verzichten mochten. Überhaupt, das Publikum: was dessen Ernsthaftigkeit angeht, blieben leichte Zweifel. Die Forderung kann hier nur, nach dem Titel eines Stückes, lauten: „Sag mir wo du stehst“. Für Linientreue war's ein Genuß, für AbweichlerInnen eine harte Prüfung.

Andreas Albert