Männer!

■ Schauspielhaus: Premiere von „Prinz Friedrich von Homburg“

Kalt, grau und ungemütlich, die Zentralperspektive dezent nach links verrückt, liegt die Schießanlage da. Nur ein paar Rückholer hängen an der Decke, an denen zur Gelegenheit Zielscheiben befestigt werden. Die Wände zeigen ganz ungewöhnliche Einschußlöcher von Schußbahnen, die horizontal zur ordentlichen Zielrichtung verlaufen sind. Neonlicht und bedrohliche Schatten vertreiben jede kurfürstliche Kostümheimeligkeit. Preußisches Staatsgebaren erfriert zur Präsenz des Kriegstodes, diese Totenkammer ist der Begräbnisort deutscher Herrlichkeit.

Hier und nur hier läßt Martin Kusej Kleists Geschichte vom Träumer Homburg, den die Weisheit des Kriegsherren zum Mann erzieht, spielen. Und schon dieser Ort (Bühne: Martin Zehetgruber) läßt von Beginn an wenig Zweifel daran, daß hier nicht der moralische Konflikt zwischen Staatsräson und schwärmerischer Leidenschaft thematisiert wird, sondern der viel trivialere aber dadurch allgemeingültigere zwischen Mann und Mann auf dem Feld des Stolzes. Die Prinzipien der staatlichen Ordnung und des militärischen Gehorsams dienen in Kusejs Interpretation dem Kurfürsten (Matthias Fuchs) weniger in weiser Strenge zur Läuterung des ungestümen Helden (Bernd Grawert), der in enthusiastischer Triumph-Träumerei verstrickt die Order des Chefs bei der Schlacht mißachtet hat. Vielmehr sind diese Prinzipien hier der herrschaftliche Ernst zur Niederringung eines Kontrahenten mit dem Werkzeug des Todesurteils. Erziehung ist hier Machtdemonstration, nicht kluge Führung.

Da wundert es nicht, daß die zentrale Figur dieser Prinz Friedrich von Homburg-Inszenierung eine Frau ist. Judith Engel spielt die Prinzessin Natalie als die humane Weisheit, die außerhalb des Regelwerks männlicher Konkurrenzen stehend diese mit einer tiefgründigen, selbstbewußten Verachtung betrachtet. Ihr mimischer und gestischer Kommentar bezieht sich sowohl auf die Didaktik der Angst des Kurfürsten Friedrich Wilhelm wie auf die kindsköpfigen Reflexe Homburgs, sei es die alle Liebe verleugnende, feige Verzweiflung wie die kopflos-stolze Opferbereitschaft für ein ideales Nicht-Sein.

Das ist subtil, aber dadurch nicht minder wirkungsvoll und findet sein Schlußbild in einer präzisen Geste. Als der Kurfürst mit seiner Politik der Drohungen und „Fallen der Ehre“ den Prinzen endlich dort hat, daß dieser begeistert davon ist, sich für sein Vergehen erschießen zu lassen, um dann das Erziehungswerk mit der Begnadigung zu beenden, soll Natalie das Werkzeug der Güte werden. Doch anstatt devot und dankbar das Herrenspiel mit Begeisterung zu schmücken und den goldenen Lorbeer auf des Liebsten Haupt zu plazieren, schlägt sie ärgerlich über soviel verquaste Ränke dem Kurfürst den Kranz aus der Hand.

Auch alles nationale und kriegerische Gedöns wird beschnitten oder vom Ritus befreit in seiner nackten Naivität gezeigt, um einen menschlichen Konflikt herauszuschälen, der in Bosnien ebenso zu Hause sein könnte, wie in den Büros der Kaufmannsstadt: Der Mann braucht den Sieg über den anderen Mann, sonst ist er selbst keiner.

Jenes Publikum, das sich ein weiteres Kleist-Märchen a la Käthchen von Heilbronn erhofft hatte, buhte empört.

Till Briegleb