Einmal Wirsingpizza für Herrn Fellini

■ Wo nichts und alles heilig ist: In den buntgescheckten Volksgaststätten der Bremer Wirtsleute Mick & Lazi kommt die Wahrheit über Multikulti auf den Tisch Von Thomas Wolff (Text) und Nikolai Wolff (Fotos)

Sitzen zwei Japaner beim Italiener. In Deutschland, in Bremen. Bestellt der eine eine „Pizza Quattro Musicanti“. Bloß den Wirsing nicht vergessen! Hebt der andere sein Weinglas und spricht: „Wir kommen oft hierher, es ist ja genauso wie eine japanische Gaststätte.“ Ein Italiener, hier, so wie in Japan? „Ja, wegen all der vielen Menschen hier.“ Da lacht die Cicciolina von der Wand herab, beißt in ihre Plastikbanane und gibt der Szene ihren Segen. Dante, der holzgeschnitzte, räuspert sich feierlich in seiner Nische. Die Japaner aber lächeln froh, die beiden Herren Musikstudenten, Oboe und Piano, Hiro und Jo. Aus dem Lautsprecher schließlich gesellt sich Dino hinzu und schnulzt: „Arrrrividertschi Roma...“ Die Streicher setzen ein, der Rotwein gluckst, die Pizza kommt. Ja, im „Scusi“ kommen alle und alles zusammen: Pizza und Porno, Wirsingkohl und Plastikweinlaub, Südtirol und Tokio.

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Kommt ein Ossi in den Westen. Im Kofferraum. 1978, im Gepäck ein vollgültiges Theologiestudium. Was tun? Zur Kirche? Nein, lieber Kneipe aufmachen. Aber nicht irgendeine. „Wir sind ja nicht als Pizzabäcker gekommen“, sagt Mick, Ulrich Mickan eigentlich, über sich und Kumpan Lazi (der kommt dann später, Moment noch). „Wir hatten uns ja mit diesem System auseinandergesetzt“. Und keine Lust, sich anzubiedern. Oder die guten Tischsitten zu übernehmen. Weiße Tischdecken? Frisch gestärkte Kellner? Muffiger Eintopf? Ha! Wenn schon Nepp, dann aber richtig. Dann soll es krachen. Dann: Würstelpizza für die Deutschen, mit Kraut, im Ristorante „Scusi Tedesci“ im Schnoor. Oder: „Nudlitschij Tatarskij“ nebst Dosenbier der Marke „Leningrad Cowboys“ im russischen Ableger des Mick & Lazi-Imperiums, im „Sewastopol“. Beschwerden sind zwecklos, meine Dame, ebenso Zweifel an der Echtheit des Salats: Hätten Sie das Kleingedruckte auf der Speisekarte gelesen, wüßten sie um den Untertitel des Lokals – „Sowjetskij Nepp Lokal“.

„Bei uns ist alles nachgemacht, alles Illusion“, sagt Lazi. Und die Illusion ist so brüchig, daß sie schon wieder wahr ist. Wie bei Fellini, dem Hausgeist des ganzen durchtriebenen Unternehmens. Wie im „Schiff der Träume“, wo das mächtig wogende Meer am Filmende als billige Plastikplane enttarnt wird, als Studioschwindel. „Vulgär wäre es nur“, sagt Lazi – ja, hat seine Weisheit denn kein Ende? – vulgär wäre es, „das Billige zu verstellen.“

„Sewastopol“ liegt, wo sonst, „Am Schwarzen Meer“ – doch, doch; die Straße heißt wirklich so. Haben die Bremer sie nach der Kneipe benannt? Gleichviel: „1984 sind wir auf die russische Linie eingeschlagen“, sagt Mick, der Stratege. „Es kam ja sonst nichts aus diesem dunklen Osten hier an die Oberfläche.“ Da platzte plötzlich das „Sewastopol“ in die Bremer Kneipenszene herein, und das „Hotel Lux“ in die Kölner. Ganz, wie sich Klein-Erna das russische Lotterleben vorstellt. Halb Datscha, halb Parteibüro; roter Brokatstoff allenthalben, aber Sitzbänke wie im Moskauer Untergrund. Und über allem die zerbröselnden Insignien des grandiosen Apparats: Hämmer, Sicheln, Ehrenzeichen, es marschiert die Siegreiche Rote Armee, zumindest auf Plakaten. Dazu serviert man falschen Kaviar und echten Schnaps.

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Siggi aber hat „das Damengedeck“ geordert. Ouzo und kleines Pils. Ja, warum denn nicht? Anders gefragt: Ist „Propaganda“ heute wirklich eßbar? So steht's zumindest auf der Speisenkarte. Der russische Kellner legt sie wortlos auf den Tresen. „Propaganda“ im Sewastopol: Aubergine gefüllt mit Spaghetti in ferig roter Sauce (14 DM). „Manche Leute beschweren sich schon mal“, spricht der Russe fließend bremisch, sieh an, diese osteuropäischen Sprachgenies doch immer wieder. „Die wollen ein russisches Lokal mit Samowar auf jedem Tisch und so“ – wollen es „authentisch“. „Aber denen sage ich immer: Wir sind eben ein Nepp-Lokal.“ Matthias, so heißt der Wunderknabe, zwinkert unsicher Frau Siggi zu und streicht sich über die hochdekorierte Drei-Sterne-Brust. Kostümzwang für die Bedienowitschis im Mick & Lazi-Universum? Ein bißchen schon; ein funkelnder Klamottenfundus liegt jedenfalls ständig bereit, heute sollte es mal wieder Uniform sein – „was das Zeug mal bedeutet hat, weiß im Grunde kein Mensch mehr“, sagt Matthias. „Hauptsache: ironisch-flippig.“ Siggi kippt den Ouzo weg. Die Rotgardisten an der Decke salutieren.

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„Ausverkauf!“ Lazi hadert ein bißchen. Von wegen „kultureller Ausverkauf“! Was er und Mick praktizierten, sei alles, nur das nicht. „Natürlich klatschen wir immer eine Art Collage zusammen.“ Aber doch nicht als postmodernen Schnickschnack. Doch nicht ohne Grund. Lazi, Ladislav Klein eigentlich, kam schließlich auch nicht als Pizzabäcker her. 1986, aus Kroatien. Studierter Schiffsbauer, Journalist, Koch, Weltbürger. „Die multikulturelle Gesellschaft, die gab es bei uns doch schon“, beharrt Lazi. Und warum denn nicht? Ist die Idee so dumm? Mick assistiert: „Wir sind ja Populisten von Haus aus, wir wollen alle Volksschichten ansprechen.“ Und da ist es den beiden Volksköchen auf einmal ziemlich ernst. Natürlich ist in ihren Kneipen alles Fake. Aber sind die weiß eingedeckten Ristorantes in Germania etwa das wahre Italien? „Wir mußten einfach mal der italienischen Gastronomie in Deutschland ein Ärgernis schaffen“, trotzt Mick. „Wo ist denn dort das italienische Kulturgut repräsentiert?“ Also: „Scusi Tedesci“, der wundersame Gemischtwarenladen der italienischen Volkskultur.

„White Trash“, donnert Lazi, dem jetzt das richtige Schlagwort eingefallen ist. „White Trash, das ist, wenn sich so eine stinkreiche Frau im Pelzmantel auf der Düsseldorfer Kö eine dicke, fettige Bockwurst schmecken läßt.“ Oder wenn zwei Feierabend-Luden im „Wojtila“, der „katholischen Tankstelle“ von Mick & Lazi an der Reeperbahn, erstmal nach Schichtende zwei Klare kippen – „Jesus“, rudert Lazi, „Jesus ist ja auch an einer Art Raststelle geboren worden, warum soll es da kein Bier geben?“ Oder eine Madonna überm Kornregal? Die sich den Finger in die Schamgegend bohrt, selig lächelnd über die hübsche Versammlung zu ihren Füßen? Oder ist „White Trash“ doch eher, wenn zwei Japaner sich in Bremen eine Wirsingpizza teilen?

Fragen über Fragen. Die Konzeptkünstler brauchen erstmal Ruhe. Zwei Kneipen führen sie noch höchstpersönlich, der Rest ist verkauft. Von jetzt an: Nur noch „Beraterverträge“ als Kneipenkonzeptionisten. Man muß ja mobil bleiben. Grenzen öffnen sich täglich, Kulturen schweifen aus. Schon ändert sich die Speisenkarte am Schwarzen Meer. Schon ändert das „Scusi“ sein Programm und gibt wahrhaftige „Italienische Nächte“ in deutscher Illusions-Dekoration. Ja, doch, das „Scusi“ bleibt den beiden Wirten eine echte Herzensangelegenheit. Vielleicht, weil das italienische Volk genau das macht, was Mick & Lazi immer wieder versuchen: „Italien ist in seiner Kunterbuntheit ja dem Wesen nach anarchisch“, leuchtet Mick; „der Staat wechselt immer seine Farben, ist immer irgendwie am Umbauen.“

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Kommt ein kleiner Italiener ins Ristorante. Schlendert in seinem weiten, tadellos knittrigen Anzug übers Tanzparkett. Greift sich das Mikrofon und singt: „Uuuna festa sui praaati“ – wer ist Celentano? Hier kommt „Pasquale“, bzw. „Pasqualito“. Italienische Nacht im „Scusi“. Und die Bude brummt vor Italienern. Was heißt hier Fake? „Es ist doch genauso wie in Italien“, sagt Pasqualito. D.h. die jungen Damen hocken hübsch beisammen auf dem Bänkchen und singen jede Strophe mit: „bello, bello impossibile...“ Die jungen Herren haben die Haare gut geölt, die bunten Sporthemden gebügelt und die bohrenden Blicke angespitzt. Noch ist es ein wenig kühl im Saal. DJ Andrea verzweifelt ein bißchen; er darf tatsächlich nur Celentano, Gianna Nanini und ein bißchen Italopop spielen, der Mick wolle es so. Warum tanzt denn keiner, das deutsche Publikum sei eben „so kalt“, rettet sich Andrea. Wie denn? Macht nicht Pasquale eine glänzende Figur, wie er unterm falschen Weinlaub echte Schlager brummt? Wird da nicht im Italorhythmus herumgewackelt? Wird nicht schon gebandelt, getuschelt und getätschelt unterm azurnen Fellinihimmel? Aber hallo. Mick sieht es mit Wohlgefallen, im schwarzen Konfirmandenanzug hinterm Tresen. Weißes Hemd, einwandfrei schmierig. Trägt er nicht auch noch einen weinrote Samtbrummer am Hals? Doch, der Chronist will es so. Cicciolina lacht und lacht. Es gibt doch ein wahres Leben im Falschen.