Der Teufel im Kostüm

■ Abtreibungsstreß: Der dritte „Love & Rockets“-Band der Brüder Hernandez ist in deutscher Übersetzung erschienen

Zwei Panelreihen lang sitzt Maggie ihrem Freund Modell. Auf vier von den Bildern macht sie Faxen, dann sitzt sie still. Sehr schön. Ein nebensächliches Geheimnis der Liebe: Je länger man eine Frau ansieht, desto schöner wird sie. Daß schon im nächsten Augenblick eine andere namens Danita ins Spiel kommt, deren Reize der Hobbykünstler nicht minder darstellenswert findet, tut nichts zur Sache. Und daß Ray ihre Brüste prompt wie Ballons malt, mag an seiner Ausdruckswut liegen. Doch auch darüber können die beiden Frauen lachen.

Am Wendepunkt der Indie-Szene

Selbstbewußte und angriffslustige Frauen mit ausgeprägten weiblichen Attributen sind ein Kennzeichen der Comicserie „Love and Rockets“, deren dritter deutscher Band „Fliegen an der Decke“ vorliegt. Sechzehn Episoden zwischen einer und vierundzwanzig Seiten, gezeichnet von Xaime und Gilbert Hernandez. „Love and Rockets“ erscheint seit 1982 in den USA und markiert einen Wendepunkt in der Indie-Szene: weg vom Underground, der sich allein noch durch mehr Sex, mehr Jokes, mehr Mehr am Markt halten konnte; weg aber auch von der Autobiographie.

In den ersten Heften waren Verweise auf den eigenen Punk- Kontext und ironische Zitate der Comicgeschichte um vieles ausgeprägter als in „Fliegen an der Decke“, das 1988 und 1989 entstandene Episoden versammelt. Geblieben ist der starke lokale und ethnische Bezug auf die Chicanos in Kalifornien. Die Hernandez- Brüder erzählen von Eifersucht, langweiligen Hippiebands, Yuppieschnepfen, Nackttänzerinnen, Fehlgeburten, Beziehungsstreß; vom Teufel, dem lieben Gott und Frida Kahlo. „Kein Querverweis und kein Wiederauftauchen von Personen leistet Orientierungshilfe“, steht im doch etwas bemühten Vorwort. So schlimm ist es nicht. Nur sind die beiden keine europäischen Autoren, die in der Verschachtelung Bedeutungsschwere suchen. Die meisten Episoden sind für sich lustig, schrullig, überdreht und durchaus lesbar. Aber ihnen fehlt der Plot, der erst entsteht, wenn die einzelnen Episoden zu einem Panorama vom Leben junger Chicanos in den USA zusammenwachsen. „In den USA sind 90 Prozent der Comics pubertäre männliche Machtphantasien in Form von Superhelden-Geschichten“, macht Gilbert Hernandez in einem Interview mit dem Comicmagazin Strapazin seine Abgrenzung zum Markt fest.

Ein mexikanisches Volksmärchen

Seine Unabhängigkeit von gewöhnlichen Cartoon-Mustern zeigt sich insbesondere bei der Geschichte zum Leben Frida Kahlos. Sie verbindet im Comicstil Anspielungen auf Bilder Kahlos, Diego Riveras und europäische Kunst der klassischen Moderne. Der Text ist angenehm arm an Huldigungen, unverhüllt wird die schwierige Beziehung der Malerin zu Rivera geschildert, der als fettes Baby gezeichnet ist. Leider holpert die Übersetzung, „Frida hat eine Abtreibung“ müßte „nahm eine Abtreibung vor“ lauten usw. In einer anderen Geschichte eignet Gilbert dem Comic mexikanische Volksmärchen an, manchmal spielt er auch nur mit formalen Elementen, übertreibt Bewegungen oder erzählt simultane Ereignisse nebeneinander her.

Die Episoden von Xaime Hernandez sind konventioneller gearbeitet. In der Titelgeschichte flieht Isabel, von Erinnerungen an ihren Schwangerschaftsabbruch geplagt, aufs Land. Doch auf dem mexikanischen Dorf bleiben Katholizismus wie Teufelsglaube und die Hetze der Abtreibungsgegner bestehen. Über allem aber schwebt noch der Glaube an die eigene Schuld, deren Nachwirkungen forciert erzählt werden. Vision und Einbildung stehen absolut gleichwertig neben Realem, hypertrophe Symbole (Teufel im Kostüm mit Zinke, vogelfüßige Frau) sind vom Verweis auf den auch sonst stattfindenden moralischen Rechtsruck im Amerika der Reagan-Zeit nicht zu lösen. Der Linearität von Ereignissen enthoben, setzt der Autor Zuordnungen wie Kindheit, Ehe oder neue Beziehung wie in einem Dominospiel zusammen, das sich zum Panorama all der extremen Gefühle verknüpft. Damit entsteht auch ein Bild von Erinnerung; eines, das springt, individuelle Analogien zusammenzwingt und ruckhaft ist. Ray kann vierzig Seiten später noch immer nicht zeichnen, aber er hat Danita rumgekriegt. Martin Zeyn

Los Bros Hernandez: „Fliegen an der Decke“. Edition Moderne, 1994, 110 Seiten, 39,80DM.