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Generalstabsmäßig exerziert

Dieter Giesing inszenierte „Angels in America“ von Tony Kushner am Deutschen Theater in Berlin: Ein Highlight der Saison wurde erwartet, doch die Inszenierung beleuchtete nur die zunehmende Veroperung des Staatstheaters  ■ Von Petra Kohse

Es sollte Licht werden im Deutschen Theater. Zur Mitte der Spielzeit, im Herzen der Hauptstadt, kurz vorm vierten Advent hatte „Engel in Amerika“ von Tony Kushner Premiere. Des 38jährigen New Yorkers vor drei Jahren uraufgeführtes Stück über die Schwulenszene und zwei Fälle von Aids wurde zwar schon an einigen deutschen Bühnen aufgeführt, aber bisher kaum so spektakulär dirigiert: Dieter Giesing inszenierte, Karl-Ernst Herrmann baute die Bühne, Moidele Bickel entwarf die Kostüme, und Janusz Stoklosa komponierte die Musik. Auf diesen theatertreffengeprüften Generalstab hatte man sich in Berlin gefreut, fast alle Tageszeitungen brachten Vorberichte.

Der erste Teil des Stückes wird gezeigt: „Die Jahrtausendwende naht“. Drei Handlungsstränge um fünf Protagonisten sind hier ineinander verwoben. Roy M. Cohn tritt auf, ein schwuler, schwulenfeindlicher und antikommunistischer Hardliner-Anwalt, der an Aids erkrankt, ein authentischer Fall. Dann Louis und Prior. Louis, wie sein Autor ein schwuler, jüdischer Intellektueller, kann die Krankheiten seines älteren und HIV-positiven Freundes Prior nicht ertragen und verläßt ihn. Er begegnet Joe, einem Mormonen, der sich seine Homosexualität zunächst nicht eingestehen und bei seiner valiumsüchtigen Frau Harper bleiben will. Das Stück wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, Robert Altman will es verfilmen. In Frank Heiberts Übersetzung liest sich das wie gut gemachtes Gebrauchstheater: aktuell, politisch korrekt, rollenstark und realistisch auch noch in den mystischen Sentenzen, wenn Harper oder der schwerkranke Prior halluzinieren.

Karl-Ernst Herrmann hat Leuchtschnüre auf einer langgezogenen schwarzen Schräge verlegt, rot, lila, grün. Sie halbieren die Fläche oder markieren die Spielkreise der parallel sich entfaltenden Handlungen. Bei Außenszenen ist am Horizont ein Pappmaché-New- York aufgebaut. Im Anwaltsbüro blickt man durch einen metallenen Fensterausschnitt von oben auf die Stadt, andere Räume sind Kerker mit nichts in der Dunkelheit außer einem Bett oder einer Couch.

Im Dienste flüssiger Szenenwechsel

Das ist elegant und routiniert, und ebenso spulen sich die Szenen ab. Charakterstudien wären hier gefordert, aber Wolfgang Maria Bauer als Prior, Dieter Mann als Roy oder Götz Schubert als Mormone liefern kalkulierbar und versiert ihren Text ab, im Dienste eines flüssigen Szenenwechsels. Nur Ulrike Krumbiegel zeigt ein Psychogramm der sexuell ausgehungerten Valium-Harper. Eine einzige Geschichte inmitten lauter Reißbrettskizzen. Die meisten spielen auch noch eine Nebenrolle, ganz offensichtlich waren sie unterfordert. Kein Wunder, denn am Kern des Stückes mogelt sich Giesing vorbei.

Trittbrettfahrt ins Nirgendwo

Er will ein Sterbe-Stück zeigen und steuert damit pfeilgerade ins Klischee. Natürlich, Roy und Prior werden sterben, der eine verdrängt, der andere kämpft um Würde, beides ist aussichtslos. Aber Louis wird weiterleben, mit der Schuld, den todkranken Freund verraten zu haben – hier liegt doch die Tragödie, zwischen Verrat und Selbsterhaltung. Maertens und sein Regisseur wollten sich in Zynismus retten und balancieren damit am Rande der Trivialität statt am Abgrund. Skrupel, Absicht oder Unvermögen? Einmal gibt es einen schwulen Quickie im Park zu sehen, da ahnt man die vorangegangenen Diskussionen. Sie wagen es – aber nicht im Geiste Tom of Finlands, sondern eher als verklemmte Blümchen-Nummer.

Giesing scheint es nur um Populär-Aufklärung der allgemeinsten Sorte zu gehen. Und Janusz Stoklosa komponierte entsprechend eine Musik, als wäre es für einen Tatort: ein dräuend rhythmisches Potpourri mit zaghaft jazzigen Elementen. Schade, daß das Band nicht eiert, das würde der ganzen Sache immerhin einen Witz geben. Denn für Fakten gibt es andere Medien, als breitenwirksame Rührgeschichte lief „Philadelphia“ im Kino. Will sich diese bundesdeutsche Spitzen-Inszenierung hier wirklich nur aufs Trittbrett stellen, um sich ins ästhetische Nirgendwo, in die definitive Belanglosigkeit zu katapultieren?

So wird an diesem Abend tatsächlich ein Lichtlein entzündet, doch kein adventliches, denn es kündete nicht von Ankunft, sondern von Niedergang: Schemenhaft sah man Schauspieler mutlos nach der ersten Wirklichkeit tasten, als könnten sie keine zweite mehr schaffen.

Nähert sich das Staatstheater so der Jahrtausendwende, dann hat es wirklich nichts anderes verdient als ein paralysiertes Publikum, das nur bei zwei millowitschigen Szenen ein Lebenszeichen gibt, sich am Ende dann doch in eine Begeisterung klatscht, um den verdorbenen Abend zu leugnen – und freiwillig sicher nicht mehr wiederkommt.

„Engel in Amerika“ von Tony Kushner. Regie: Dieter Giesing, Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Moidele Bickel. Deutsches Theater Berlin, nächste Aufführung: 2.1.

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