Herzlicher Empfang bei Karadžić

Zurückhaltende Unterstützung der US-Regierung für die Reise Carters nach Bosnien / Offiziell gilt der Serbenführer als Kriegsverbrecher / Festhalten am Plan der Kontaktgruppe  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Den Friedensnobelpreis hat er immer noch nicht in der Tasche, doch den Titel „agilster Ex-Präsident“ kann ihm keiner mehr nehmen. Welche Motive hinter dem diplomatischen Aktivismus des Jimmy Carter stehen, ist in Washington dieser Tage wieder einmal Anlaß für Spekulationen – und Unmut. Die ersten Fernsehbilder von dem herzlichen Empfang Carters durch die Führungsspitze der bosnischen Serben in Pale am Montag stehen im krassen Widerspruch zu Rhetorik des Weißen Hauses und des US-Außenministeriums. Demnach handelt es sich bei dem Serbenführer Radovan Karadžić und seinen Gefolgsleuten immer noch um Kriegsverbrecher, deren Wort in Verhandlungen nichts wert ist.

Davon konnte sich Carter bei seiner Ankunft in der bosnischen Haußtstadt Sarajevo am Sonntag selbst überzeugen. Trotz der Zusicherungen von Karadžić an Carter, als Gegenleistung für seinen Besuch UNO-Hilfstransporte passieren zu lassen und den Artilleriefeuer auf Sarajevo einzustellen, wurden weiterhin UN-Konvois festgehalten sowie Granaten auf die bosnische Hauptstadt abgeschossen. Auch die Kämpfe in Bihać im Nordosten des Landes gingen gestern weiter.

Nun glaubt nach 32 Monaten Krieg, nach „ethnischen Säuberungen“, Massenvergewaltigungen, permanenter Belagerung muslimischer Städte und ebenso permanenter Demütigung der UN-Friedenstruppen niemand in Washington daran, daß Karadžić jemals vor einem internationalen Gericht stehen wird. Im Gegenteil: Nach dem jüngsten Kurswechsel der Clinton- Administration, mit dem der militärische Sieg der Serben faktisch akzeptiert worden war, hat Karadžić bessere Chancen denn je, jeden „Friedensplan“ internationaler Vermittler nach seinen Gunsten zu verändern.

Das Eingeständnis des eigenen politischen Scheiterns hatte offenbar die Clinton-Administration dazu bewogen, die Reise Carters nach Bosnien zumindest halbherzig zu unterstützen – in der Hoffnung, Karadžić suche nun, nachdem die Serben fast alle militärischen Ziele erreicht haben, nach einem Weg, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Zwar reiste Carter offiziell als Privatperson, doch zuvor wurde er von Alexander Vershbow, der im „Nationalen Sicherheitsrat“ der Clinton-Administration für Bosnien zuständig ist, sowie Vertretern des Geheimdienstes CIA und des US-Außenministeriums ausführlich beraten.

Diese Gespräche dienten gleichzeitig der Schadensbegrenzung, denn der Ex-Präsident hat sich bei seinen früheren Vermittlungsmissionen in Nordkorea und Haiti den Ruf eines unberechenbaren Querschlägers erarbeitet, der ohne Absprache Zugeständnisse macht und damit die Clinton-Administration international kompromittiert.

Vor allem US-Außenminister Warren Christopher, an dessen ohnehin angeschlagener Reputation Carters außenpolitische Ausflüge weiter kratzen, hatte in der letzten Woche seinem ehemaligen Dienstherren immer wieder einschärfen lassen, daß es ihm nicht anstehe, den Friedensplan der sogenannten „Kontaktgruppe“, bestehend aus Frankreich, Großbritannien, den USA, Rußland und Deutschland, neu zu verhandeln.

Dieser Plan, der von den bosnischen und der kroatischen Regierung akzeptiert worden ist, würde den bosnischen Serben 49 Prozent des Territoriums der Republik, der bosnisch-kroatischen Föderation 51 Prozent überlassen. Die Serben haben ihre Zustimmung bislang verweigert, weil sie zum einen mehr Land unter ihrer Kontrolle behalten, zum anderen die Option einer Föderation mit Serbien haben wollen.

Auf Druck der Clinton-Administration hatte Carter seine Mission in Sarajevo und Zagreb begonnen, um vor allem bei der bosnischen Regierung den Eindruck zu vermeiden, der Ex-Präsident sei vor allem an der serbischen Sichtweise des Krieges interessiert. Doch das Treffen mit dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović verlief sichtbar kühl. Während Izetbegović in einer Pressekonferenz auf der Unantastbarkeit des Planes der „Kontaktgruppe“ bestand und einen Waffenstillstand vom Stopp des serbischen Vormarsches auf Bihać abhängig machte, verließ Carter bereits wieder den Raum.

In Sarajevo befürchtet man nicht ohne Grund, daß der von Karadžić inszenierte Carter-Besuch als Manöver dient, die Prinzipien des Friedensplanes der „Kontaktgruppe“ aufzuweichen. Unter Journalisten ließ der Serbenführer bereits die Behauptung verbreiten, Vertreter der „Kontaktgruppe“ hätten ihm bereits neue Verhandlungen über die Aufteilung des Landes zugesichert.