■ Mit den deutschen Steuerlasten du und du
: Waigel spart zu scharf

Essen (taz) – Die gute Botschaft des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) zuerst: Auch wenn die öffentlichen Schuldenberge „im Gefolge der Einigung“ immens gewachsen sind, zeichnet sich „eine deutliche Besserung ab“. Von einer „Gefährdung der wirtschaftlichen Stabilität der Bundesrepublik kann nicht die Rede sein“.

Das von Finanzminister Theo Waigel vorgelegte Konsolidierungsprogramm geht den Essener Forschern sogar zu weit. Gemessen an der Erfordernissen einer wachstumsfördernden Finanzpolitik falle der Defizitabbau zu drastisch aus. Wenn die jetzige Planung realisiert wird, dürfte die staatliche Defizitquote von 4,5 Prozent des Bruttosozialprodukts im Jahr 1993 bis zum Jahr 1997 auf etwa 1,5 Prozent zurückfallen. Die Quote der Staatsschulden wird unter Einbeziehung aller Neben- und Sonderhaushalte von heute 62,5 Prozent auf unter 60 Prozent im Jahr 1997 fallen. Bereinigt man diese Quoten um den sogenannten Erblastentilgungsfonds, sinken die Defizizquote sogar auf weniger als ein Prozent und die Schuldenqote auf 48 Prozent. Deshalb, lautet das Fazit der gestern vorgestellten RWI-Studie, sehe die Bundesrepublik im internationalen Vergleich „noch günstig aus“.

Zur Förderung des Wachstums hält das RWI deshalb einen geringeren Defizitabbau für erforderlich. Statt 1,5 Prozent Defizitquote seien 2,5 Prozent des Bruttosoziaprodukts „zu vertreten“. Damit stünden 30 Milliarden Mark mehr zur Verfügung, die das RWI am liebsten zur Entlastung der Sozialversicherungen und zur Reduzierung der direkten Steuern eingesetzt sähe. Es sei „nicht einzusehen“, so begründete der Autor der Studie, Ulrich Heilemann, gestern seine Forderung daß die einheitsbedingten Sonderlasten vorwiegend die jetzige Generation zu tragen habe. Im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1994 lag die jährliche öffentliche Transferleistung von West- nach Ostdeutschland bei rund 150 Milliarden Mark. Für die steuerzahlenden Bürger stieg die Steuer- und Abgabelast in diesem Zeitraum von 40,4 auf 44 Prozent. Am tiefsten mußten die gering verdienenden Arbeiter und Angestellten in die Tasche greifen. Während ihr Bruttoeinkommen mit vier (Arbeiter) oder 3,5 Prozent (Angestellte) belastet wurde, waren die Selbständigen – einschließlich der Landwirte – mit weniger als zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens dabei. Durch den Solidaritätszuschlag wird diese verteilungspolitische Offenbarung nach den Worten von Heilemann zumindest „tendenziell korrigiert“. Prozentual zahlen Arbeiter und Angestellte unter Einbeziehung der Leistungen für die Sozialversicherungen aber nach wie vor am meisten – nämlich zwischen 5,5 und gut sechs Prozent. Selbständige kommen mit 4 Prozent davon. Walter Jakobs