: Die Erotik des Glaubens
■ „Oh, Happy Day“ meets „Stille Nacht“: Victory Singers verzückten die BremerInnen
Hallelujah! Pünktlich zu Weihnachten schmückte die Veranstalter-GmbH „Rainbow“ ihr Firmenzeichen zum Kometenschweif um und siehe da: Bremen frohlockt, was das Zeug hält. Volles Haus bei Arte Corale, einem Ensemble russischer Mönche, die mit ihren gregorianischen Gesängen am Samstag vor einem begeisterten Kirchenpublikum die akustischen Räucherkerzen anzündeten. Volles Haus auch am Montag, als die Victory Singers in der Glocke mit ihren Gospels sämtliche Lichter am Weihnachtsbaum anmachten.
Keine bestimmte Szene, eher ein repräsentativer Querschnitt durch Bremens Einwohnerschaft war an diesem Abend bereit, im eigens inszenierten Bimbam der Gefühle zu schwelgen und sich kurz vor Jahreswende der kollektiven Katharsis hinzugeben. Hallelujah!
Irgendein amerikanischer Angelo Branduardi besäuselt aus den Boxen den Einzug der Gemeinde in den Konzertsaal. Man parliert über Weihnachtseinkäufe und trägt Halbwissen zu Markte: Von wem ist noch die Geburt der Venus? Stammt sie nicht von diesem „deutschen Maler, Eduard Münch?“ Welch eine Erlösung, als die zwölf Victory Singers die Bühne betreten und sofort klarmachen: An ihnen schwätzt niemand vorbei.
„Oh Lord, we magnify your name“ donnert die wuchtige Ouvertüre von der Bühne und läßt keinen Zweifel daran, mit welcher Intensität das Ensemble unter der Leitung von Sue Conway das Vorhaben umsetzen würde. Piano, Keyboard und Baß sind bis zum Anschlag aufgedreht und drohen, selbst den beherzt singenden achtstimmigen Chor zu übertönen. Schlagzeuger Malcolm Banks bearbeitet sein Instrument, als gelte es, dem Publikum den wahren Glauben einzudreschen. „Wenn man die Ohren zuhält, geht's“ klagt die Nachbarin, und spontan räumen einige ZuhörerInnen die ersten Reihen. Die so alarmierte Sue Conway begibt sich schließlich selbst ins Auditorium und läßt die Angelegenheit korrigieren. „I'm so glad“, unterstützt daraufhin das Publikum den Pianisten und Sänger Wayne Davis, der in bester Sammy-Davis-Manier auf der Bühne in die Knie geht und somit klarstellt, daß aller Rockmusik Anfang im Gospel liegt.
Was für ein Unterschied zur derzeit so gefragten Gregorianik! Statt die Seele mit disziplinierter Kuttenklassik ins Jenseits zu massieren, herrscht hier ganz irdische, schier berstende Lebensfreude. „In the name of Jesus“ knallt der Beat durch die Halle, swingt der Soul, rockt die Gemeinde, „praise him“, zum Sound von Karibikklängen. „Das geht ins Blut“, entringt sich der Brust eines Bremers, der in seinem kragenbewehrten Poly-Pullunder frei von jedem Verdacht ist, im Alltag ein Sanguiniker zu sein.
Trotz blauer und roter Scheinwerfer wird es schließlich auch noch richtig heilig. Während Felicia Coleman-Evans im himmelhohen Sopran zur „Holy Night“ aufsteigt, läßt sie ein verstummendes Publikum in den Sesseln zurück. Kein Räuspern, kein Scharren, kein Mucks mehr. Die aufgestaute Andacht bricht sich schließlich im ohrenbetäubenden Klatschen der Hände und Stampfen der Füße Bahn.
Doch je glaubwürdiger das Credo, je ergreifender die Szenen, umso nachdenklicher macht die Nähe zwischen Kommerz und spiritueller Community. Was passiert hier? In einer Art Trance war man harmonisch geworden. Das Konzert gedieh zur wiegenden Messe, in der das Leben so einfach scheint und die Krippe nicht anders kann als schaukeln: Nehmen und geben, „I love Jesus, because he loves me first“.
Für diesen Abend jedenfalls ist alles stimmig, sogar hundertprozentig zwölfstimmig. An dieser Urgewalt darf das Publikum nippen, ja, teilhaben. „Oh happy day“, ein Musical der Freude. Als dann noch die MusikerInnen zum holy beat auf der Bühne schwofen, haben sie die Erotik des Glaubens vollends freigelegt.
Doch wie das so ist: Wenn Gefühle öffentlich entkleidet werden, ist die Peinlichkeit nicht fern. Als das Publikum der Aufforderung folgt, die „Stille Nacht“ auf deutsch zu intonieren, schleicht ein getragenes Wimmern durch die Halle, bis sich die Victory Singer erbarmen und ihre wundervollen Stimmen noch einmal zu einem gewaltigen „Amazing Grace“ erheben. Hallelujah! Und selbst für diesen weltberühmten Gospelchor war das Konzert in Bremen offensichtlich eine Begegnung. Noch ein halbe Stunde später hörte man die MusikerInnen hinter der Bühne weinen und beten. Dora Hartmann
r ein Unterschied zur derzeit so gefragten Gregorianik! Statt die Seele mit disziplinierter Kuttenklassik ins Jenseits zu massieren, herrscht hier ganz irdische, schier berstende Lebensfreude. „In the name of Jesus“ knallt der Beat durch die Halle, swingt der Soul, rockt die Gemeinde, „praise him“, zum Sound von Karibikklängen. „Das geht ins Blut“, entringt sich der Brust eines Bremers, der in seinem kragenbewehrten Poly-Pullunder frei von jedem Verdacht ist, im Alltag ein Sanguiniker zu sein.
Trotz blauer und roter Scheinwerfer wird es schließlich auch noch richtig heilig. Während Felicia Coleman-Evans im himmelhohen Sopran zur „Holy Night“ aufsteigt, läßt sie ein verstummendes Publikum in den Sesseln zurück. Kein Räuspern, kein Scharren, kein Mucks mehr. Die aufgestaute Andacht bricht sich schließlich im ohrenbetäubenden Klatschen der Hände und Stampfen der Füße Bahn. Knisternde Spannung erzeugt auch Roberta Thomas, als sie, den blue shout in der rauhen Blues-Stimme, das Publikum mit einem nicht mehr zu hinterfragenden Glaubensbekenntnis konfrontiert. „I am persuaded“, verstohlen zücken ZuhörerInnen ihre Taschentücher.
Doch je glaubwürdiger das Credo, je ergreifender die Szenen, umso nachdenklicher macht die Nähe zwischen Kommerz und spiritueller Community. Was passiert hier? In einer Art Trance war man harmonisch geworden. Das Konzert gedieh zur wiegenden Messe, in der das Leben so einfach scheint und die Krippe nicht anders kann als schaukeln: Nehmen und geben, „I love Jesus, because he loves me first“.
Für diesen Abend jedenfalls ist alles stimmig, sogar hundertprozentig zwölfstimmig. An dieser Urgewalt darf das Publikum nippen, ja, teilhaben. „Oh happy day“, ein Musical der Freude. Als dann noch die MusikerInnen zum holy beat auf der Bühne schwofen, haben sie die Erotik des Glaubens vollends freigelegt.
Doch wie das so ist: Wenn Gefühle öffentlich entkleidet werden, ist die Peinlichkeit nicht fern. Als das Publikum der Aufforderung folgt, die „Stille Nacht“ auf deutsch zu intonieren, schleicht ein getragenes Wimmern durch die Halle, bis sich die Victory Singer erbarmen und ihre wundervollen Stimmen noch einmal zu einem gewaltigen „Amazing Grace“ erheben. Hallelujah! Und selbst für diesen weltberühmten Gospelchor war das Konzert in Bremen offensichtlich eine Begegnung. Noch ein halbe Stunde später hörte man die MusikerInnen hinter der Bühne weinen und beten. Dora Hartmann
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