■ Nato und UNO interessiert nur ihr eigenes Schicksal
: Bihać ist Guernica

Seit die sogenannte internationale Gemeinschaft entschieden hat, zu kapitulieren und die „Sicherheitszone“ von Bihać der Brutalität der Serben zu überlassen, scheint sich die Presse mehr für UNO und Nato zu interessieren als für die 180.000 Einwohner dieser belagerten bosnischen Stadt. In all dem steckt ein starker Symbolismus. Die Verteidigung von Bihać ist nicht nur der Überlebenskampf der verzweifelten Bewohner, die keinen Ort, nirgends, haben. Es ist auch die letzte Verteidigungslinie der Regeln und Prinzipien, die doch eigentlich der neuen Ordnung zugrunde liegen sollten. Es ist auch das Experimentierfeld all der Kräfte des Ultranationalismus, rassistischer „ethnischer Reinheit“ und völkermörderischer „ethnischer Säuberung“. Und bald wird es nicht mehr „nur“ Bihać sein oder Bosnien, sondern um andere Grenzen gehen, um Staaten und Städte, die nicht in die Kartographie dieser Eroberer passen.

Deshalb sehe ich Picassos „Guernica“ vor mir. Jene Stadt, bombardiert und terrorisiert im spanischen Bürgerkrieg, ohne zu sehen, daß es der Faschismus war, auf dem Weg in das größte Verbrechen der Geschichte. Von niemandem aufgehalten, so wie jetzt die serbischen Kräfte in Bosnien. Es gibt immer mehr Anhaltspunkte, daß die Aufgabe der Sicherheitszone von Bihać eine bewußte und koordinierte Entscheidung war, um die „Lösung“ für Bosnien zu erreichen, um es zur Aufgabe zu zwingen und dann die Kapitulation als Grundlage eines permanenten Waffenstillstandes und einer Friedenslösung zu nehmen. Aber sie irrten in einem Punkt: Die Bosnier können nicht aufgeben, weil sie nirgendwo hingehen können und nicht die britische oder französische koloniale Arroganz besitzen, das Land des einen zu dem des anderen zu machen. Sie werden um das Überleben von Bihać kämpfen und für ihre Prinzipien, die man so leicht opferte.

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu zynisch, die Ausweitung von Nato oder KSZE zu diskutieren. Welche „Partnerschaft für den Frieden“ kann denn den neuen Demokratien Europas garantiert werden, wenn die Institutionen sich als so tragisch ohnmächtig wie im Falle einer kleinen bosnischen Stadt erwiesen? Darum ist Bihać auch nicht nur eine „Episode, die keine Auswirkung auf die Zukunft der Allianz hat“, wie Warren Christopher kürzlich meinte. Bihać ist der symbolische Beginn der Post-Kalten-Kriegs-Zeit. Und alle internationalen Institutionen scheiterten elendiglich. Für die Zukunft gilt die entscheidende Frage: Will man auf der Seite der „ethnischen Säuberer“ stehen oder auf der internationalen Rechts und einer Ordnung, wie sie jetzt nur noch von den mutigen Verteidigern Bihaćs vertreten wird? Kemal Kurspahić

Früherer Redakteur der bosnischen Tageszeitung Oslobodjenje, jetzt Stipendiat in Harvard; aus: Los Angeles Times/Washington Post-Service