: Freudige Endzeitstimmung
Nach zwanzig Jahren schloß gestern morgen die Bahnhofswache Zoo / Im Frühjahr zieht die stadtbekannte Wache in die Joachimstaler Straße ■ Von Barbara Bollwahn
Wenn es so etwas wie eine freudige Endzeitstimmung gibt, dann herrschte diese am Dienstag abend in der Bahnhofswache Zoo, die nach zwanzig Jahren gestern morgen um 6 Uhr geschlossen wurde. Keiner der Beamten wird die „qualvolle Enge“, das alte Mobiliar, die Decken des Aufenthaltsraumes, mit Löchern so groß wie Gullydeckel, oder den Gestank im Zellentrakt vermissen. Auch der Bewachungsposten Manfred Z., der seit 1974 als „Kerkermeister“ in den runtergekommenen Räumen seinen Dienst versehen hat, verläßt das sinkende Schiff mit nur „wenig Wehmut“. Ein anderer spricht ganz ohne Emotionen von einem „zwangsläufigen Wechsel“. Hauptsache, die Kollegen, die sich „wie eine Familie“ fühlen, können weiterhin zusammen arbeiten. Das sei ihnen zumindest versprochen worden.
Am Dienstag abend war es „unanständig ruhig“ in Berlins bekanntester Polizeiwache, so einer der Beamten. Kein Wunder. Denn bereits an diesem Abend war die Wache nicht mehr für Ladendiebstähle, Körperverletzung oder Unfallflucht zuständig. Bis zum Umzug in die neuen Räume in der Joachimstaler Straße im Frühjahr 1995 wird die City-Wache vorübergehend in der Bismarckstraße arbeiten. Der Abschnitt 27 ist durch den Umzug der Operativen Gruppe City-West in die Joachimstaler Straße frei geworden.
„Wer hier rausgeht, kann sich nur verbessern“, so ein fülliger Beamter, der an diesem Abend zum uniformierten Hobbyfilmer avancierte und „zur persönlichen Erinnerung“ die letzten Stunden im Zoo festhielt: trostlose Flure, denen Dutzende von Kartons das letzte bißchen Leben zu rauben scheinen, Säcke, prall gestopft mit gehäckselten Papieren, Spinde, genauso nackt wie die blonden Frauen darauf. Ab und an knallte es auf den Fluren der Wache. Belustigt nahmen die Kollegen zur Kenntnis, daß einer von ihnen aus Spaß oder Langeweile Knaller auf den Boden warf.
Nicht ganz ohne Schadenfreude philosophierten der „Kerkermeister“ und seine Kollegen mit hochgelegten Beinen darüber, was die zum Bundesgrenzschutz (BGS) gehörende Bahnpolizei erwartet, die von nun an für den Bahnhof Zoo zuständig ist. „Die können sich freuen“, so der 53jährige, „wir haben ihnen bereits offeriert, was auf sie zukommen könnte.“ Dabei denkt er nicht an Reisende oder Passanten, die irgendein Anliegen haben, sondern eher an „Asoziale oder andere, die nicht 100prozentig wissen, wo's langgeht“. Manfred Z. ist überzeugt, daß sich kaum einer die Mühe machen wird, in die Joachimstaler Straße zu laufen. Wenn's nach ihm ginge, müßte die Wache erhalten bleiben. Richtig sauer wird er, wenn er daran denkt, daß die Stadt „kein Objekt für ihre Polizei hat“. Die Bemühungen der Polizeigewerkschaften und der Innenverwaltung scheiterten an der Reichsbahnverwaltung als Eigentümerin, die bereits vor über zwei Jahren andeutete, den Ende Juni dieses Jahres auslaufenden Mietvertrag nicht mehr zu verlängern.
Noch hat Manfred Z. nicht die Bücher eingepackt, in denen die Personen eingetragen sind, die Bekanntschaft mit einer der acht Einzelzellen oder der Sammelzelle gemacht haben. Von Anfang des Jahres bis vorgestern waren es exakt 2.748 Personen, die auf den harten Holzpritschen wahrlich kein weiches Ruhekissen fanden.
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