■ In Magdeburg wird ein Haus saniert – Pech für die Mieter
: Halbtags obdachlos

Magdeburg (taz) – Jeden Morgen um kurz vor 8 müssen die Mieter eines Magdeburger Hochhauses ihre Koffer packen. Zwischen 8 und 13 Uhr müssen sie sehen, wo sie bleiben, in ihren eigenen vier Wänden jedenfalls dürfen sie es nicht. Denn jeden Vormittag rücken die Bauarbeiter der alten Betonfassade mit Preßlufthämmern und anderem schweren Gerät zuleibe. Schön neu werden soll das alte Hochhaus, und das ist laut.

Zu laut, fanden zwei von 204 Mietparteien, legten Beschwerde ein und erreichten tatsächlich, daß das Umweltamt der Stadt einen Baustopp verhängte. Lärmmessungen der städtischen Umweltschützer hatten ergeben, daß die Preßlufthämmer in Sachen Dezibel einen Düsenjet glatt in den Schatten stellten.

Aus der von den Beschwerdeführern erhofften beschaulichen Adventszeit im trauten Heim wurde aber nichts. Die Wobau GmbH, 100prozentige Tochter der Stadt Magdeburg, wollte sich auch durch Mieterproteste nicht davon abhalten lassen, den Betonklotz zu sanieren. Schließlich ist das im Osten noch eine wesentliche Voraussetzung für Mieterhöhungen. Kurzerhand beschlossen die Wobau-Verantwortlichen gemeinsam mit dem Umweltamt, daß die Mieter für die Zeit der Bauarbeiten halbtags ausquartiert werden. Morgens, so erfuhren die Mieter, haben sie ihre vier Wände zu räumen und dürfen erst mittags um 13 Uhr wieder zu Hause sein. Wohin in dieser Zeit? Das war die große Frage, die auch die Wobau nur unzureichend beantworten konnte.

Die Gesellschaft bot den Mietern Aufenthaltsraum in einer nahe gelegenen Altenbegegnungsstätte an. „In den Raum passen höchstens 30 Leute rein, aber dann wird's schon verdammt eng“, beklagt sich einer der Mieter. Und auch mit dem Ersatz- und Übergangswohnraum, den die Wobau zur Verfügung stellte, hat es so seine Tücken. „Ich wär' schon umgezogen“, sagt ein älterer Herr, „aber für die neue Wohnung brauche ich erst mal einen Wohnberechtigungsschein.“ Nur wenige Mieter können die Zeit der Vertreibung im Job verbringen. Die Mehrzahl der Bewohner sind Arbeitslose, Rentner, Vorruheständler. „Fünf Stunden am Tag muß man erst mal rumbringen, wenn das Geld knapp ist“, sagt einer.

„Ich kann mich doch nicht die ganze Zeit in der Stadt rumtreiben“, klagt eine ältere Frau. „Das ist doch jetzt viel zu kalt.“ Sie beschloß wie viele andere, der Anordnung zu trotzen. „Lieber halte ich den Krach aus, als daß ich mich tagtäglich vertreiben lasse.“

Die Wobau sah es zunächst gelassen. „Wir sind schließlich keine Polizei“, sagt Wobau-Sprecherin Brigitte Grobecker. „Wir werden nicht kontrollieren, ob das Haus morgens tatsächlich leer ist.“ Das wollen jetzt andere tun. Einmal auf die Spur gesetzt, will sich das städtische Umweltamt nicht von seinen Lärmschutzvorschriften abbringen lassen. „Wenn die Mieter ihre Wohnungen nicht verlassen, werden wir wieder einen Baustopp verhängen“, so ein Sprecher des Amtes. Der steht ohnehin an, denn von heute an bis zum 2. Januar will die Wobau ihren Mietern eine Feiertagsruhe gönnen. Danach sollen wieder die Preßlufthämmer rattern, die Mieter morgens ihre Taschen und Körbe packen. Einziger Trost: Für die Zeit der Bauarbeiten zahlen sie nur ein Viertel der Miete. Dafür erwartet die Wobau jetzt aber auch Gehorsam. Noch einen Baustopp will die Gesellschaft nicht hinnehmen. Denn dort befüchtet man inzwischen, daß aus dem überschaubaren Zeitraum der geplanten Bauarbeiten eine unendliche Geschichte wird – und die angestrebten Mieterhöhungen auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden müssen. Eberhard Löblich