Kreditkarten sind aus der Mode gekommen

Eine Mischung aus Kriegswirtschaft, Schwarzmarkt und humanitärer Hilfe hat das Überleben der Bevölkerung in Zentralbosnien ermöglicht / Die Mark als Zahlungsmittel / Aufschwung in der Westherzegowina  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Als ein durchaus respektabler Bundestagsabgeordneter einmal nach Tuzla fuhr, hatte er sich um das liebe Geld nicht gekümmert. Anstatt Deutsche Mark in Münzen und dickgebündelten kleinen Scheinen mit sich zu führen, wie dies kundige Bosnienreisende tun, wollte er am Ende seiner Dienstfahrt die Hotelrechnung nebst Essenseinladungen für die Honoratioren mit einer Kreditkarte begleichen. Das ungläubige Staunen des Publikums war ihm gewiß. Und auch das süßsaure Lächeln des Bürgermeisters. Dieser versprach dann, die Stadt käme für die Kosten auf. Der gute Bundestagsabgeordnete, der sich später mit seinem Einsatz für die Stadt mehr als revanchieren konnte, hatte gelernt, daß in Restbosnien der Geldverkehr, das monetäre System, zusammengebrochen ist. So wie das gesamte Wirtschaftssystem.

Zwar wird auch in Restbosnien noch gearbeitet, die meisten staatlichen Institutionen funktionieren deshalb. Und auch die privaten Geschäftsleute sind rührig dabei, Waren zu importieren. Die Industrie jedoch liegt brach, nur in Tuzla, wo die Emissionen der chemischen Industriekomplexe einst den Himmel verdunkelten, arbeiten einige Produktionslinien für Medikamente wieder. Und in Zenica, der Hüttenstadt, wird nach der Zerstörung der Hochöfen lediglich Alteisen für Stahlträger zum Haus- oder Brückenbau oder für die Waffenproduktion umgeschmolzen. Jedes mögliche Fleckchen Erde ist in Acker- oder Gartenland umgewandelt worden. Mit einem regulären Wirtschaftsleben haben diese Tätigkeiten jedoch nichts gemein. Es ist eine Mischung aus Kriegswirtschaft, Schwarzmarkt und von außen kommender humanitärer Hilfe entstanden, mit der es im zentralen Teil Restbosniens – in den Enklaven herrschen ungleich schwierigere Bedingungen – gelungen ist, das Überleben eines Großteils der Bevölkerung zu sichern.

Während des Krieges im Kriege, also der Zeit vom Frühjahr 1993 bis Frühjahr 1994, wo sich die Restbosnier nicht nur der serbischen, sondern auch der kroatischen Nationalisten zu erwehren hatten und völlig von der Außenwelt abgeschlossen waren, schossen die Preise nicht nur für die Genußmittel Kaffee, Zucker, Zigaretten oder Alkohol in unerschwingliche DM-Höhen, auch Grundnahrungsmittel waren völlig überteuert. Wenn ein Kilo Mehl 20 DM kostet, ein Kilo Kaffee 80 oder wie zur Zeit im belagerten Bihać um die 400 DM, dann ist die Blütezeit des Schwarzmarktes angebrochen. Während jene hungern müssen, die über kein Geld, sprich: Mark mehr verfügen, versuchen Schwarzmarkthändler, vom Feind Waren einzuhandeln. In Knin, der sogenannten Hauptstadt der serbisch besetzten Krajina in Kroatien, wird ganz offen darüber gesprochen, daß über die Schwarzmarktverbindungen „noch Millionen von den Muslimanen in Bihać zu holen sind“. So hielten es vor einem Jahr auch bosnisch-kroatische wie serbisch-bosnische Geschäftemacher, die nicht schlecht an ihrem Schwarzmarkthandel mit Zentralbosnien verdienten. Und ein wesentlicher Grund für die erneuten Angriffe auf Sarajevo seit Juli dieses Jahres soll nach Vermutungen von Händlern gewesen sein, daß für die serbische Schwarzmarktmafia angesichts der kurzzeitig geöffneten und über den sogenannten „grünen Korridor“ versorgten Stadt im Mai und Juni nichts mehr zu holen war.

Die Mark ist das einzige Bosnien noch verbindende Band, witzeln die Bewohner Sarajevos. Sieht man vom Schwarzmarkt ab, stimmt dies strenggenommen so nicht mehr. Denn sowohl in der serbisch dominierten Zone wie auch in der kroatisch dominierten Westherzegowina (Herceg- Bosna) ist das Geld des jeweiligen „Mutterlandes“ für den täglichen Zahlungsverkehr übernommen worden. In der Westherzegowina wird also mit der Kuna gehandelt, der erst im Mai eingeführten neuen Währung Kroatiens, die von Beginn an einen schlechten Ruf hatte, weil eine Währung gleichen Namens auch für den Ustascha- Staat des Ante Pavelić im Zweiten Weltkrieg als Zahlungsmittel diente. In der serbisch dominierten Zone gilt der neue jugoslawische Dinar, der, welch ein Zufall, bei seiner Einführung im Januar 1994 im Umtauschverhältnis 1:1 mit der DM stand. Nur in dem von der bosnischen Regierung dominierten Gebiet ist die Mark noch das unbestritten wichtigste Zahlungsmittel. Die bosnischen Dinarbons, die im Verhältnis 1:500.000 mit der DM getauscht werden können, werden dagegen nur selten von Ladenbesitzern oder Kellnern angenommen, und dies, obwohl alle Lohnabhängigen in dieser Währung bezahlt werden – die Monatslöhne belaufen sich auf umgerechnet 2 bis 8 DM. Was aber fehlt, ist das harte Wechselgeld. Und so sind DM-Bons auf dem Markt aufgetaucht.

Auch im serbisch besetzten Teil geht es wirtschaftlich bergab. Dies liegt keineswegs nur an dem Embargo durch Restjugoslawien, das im Prinzip alle Lieferungen mit Ausnahme von Lebensmitteln und humanitären Gütern untersagt, in der Realität aber recht löchrig ist. Die eroberten Gebiete sind vor allem ländlich-agrarisch strukturiert, die meisten Industriezentren werden – bis auf die Stadt Banja Luka – nach wie vor von der Regierung kontrolliert. Zudem zeigen Krieg und Austreibung der Bewohner auch ihre ökonomischen Folgen. In der Gegend von Prijedor ist nicht nur die Stadt Kozarać völlig zerstört, sondern auch die meisten muslimischen Dörfer wurden von den serbischen Truppen dem Erdboden gleichgemacht. Damit liegt die landwirtschaftliche Produktion darnieder. Auch im südostbosnischen Foca und der ostbosnischen Savaebene bestehen Städte und Dörfer nur noch aus Ruinen. Dorthin zurückzukehren sind auch die aus diesen Gegenden stammenden bosnischen Serben meist nicht bereit. Nach der Eroberung der Stadt Jaice durch serbisch-bosnische Truppen im November 1992 sind nach den Kämpfen nur ein Teil der serbischen Bewohner wieder zurückgekehrt, die ursprünglich knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachten. Viele sind nach Serbien oder ins Ausland abgewandert, und das nicht nur in Jaice. Über 400.000 Serben sollen es sein, die den serbisch besetzten Teil Bosniens verlassen haben.

Keinen Grund zur Flucht haben die Kroaten der Westherzegowina. Bis auf Mostar und seine engere Umgebung, wo die kroatische HVO Zehntausende von Muslimen vertrieben und die Dörfer wie die Stadt zerstört hat, ist das Land intakt geblieben. Und an der Abschnürung Restbosniens wird sogar kräftig Geld verdient. Denn trotz der Bildung der bosniakisch- kroatischen Föderation müssen die meisten Waren, die nach Zentralbosnien oder Sarajevo gehen, verzollt werden. Die muslimischen Geschäftsleute aus Zentralbosnien sind gezwungen, in der Westherzegowina einzukaufen. Das Projekt der Europäischen Gemeinschaft in Mostar greift zudem beim Wiederaufbauprogramm für die Stadt auf westherzegowinische Firmen zurück. Daß manche Geschäftsleute und Politiker der Westherzegowina am Waffenhandel partizipieren, bringt ebenfalls Geld ins Land. Zudem geben Westherzegowiner in der Regierungspartei und im Wirtschaftsleben von Zagreb und auch Split den Ton an, was der Region nicht schadet. Weil große Teile der Bevölkerung seit Beginn der sechziger Jahre emigrieren mußten und als Gastarbeiter in Westeuropa, Kanada oder Australien ihr Geld verdienten, sind sie heute in der Lage, mit harter Währung und Tatkraft die Zuhausegebliebenen zu unterstützen. Aber auch hier sind Kreditkarten aus der Mode gekommen, und was zählt, ist nach wie vor Bargeld.