„Rosen haben auch schöne Räuplein“

Rosen helfen gegen Fatalismus, Zahnweh, Magengrimmen und Trunkenheit, haben Ungeziefer und Stacheln statt Dornen, bereichern Welterklärung und Partnersuche und machen viel Arbeit  ■ Aus dem Museum Heide Platen

Von der Decke herab schwebt zwischen dornigen Ranken ein Rosenkleid. Auf den Stoff sind – Blütenblatt für Blütenblatt – Rosenblätter genäht, dunkelrot getrocknet und unberührbar spröde geworden. Das Gewand dreht sich sacht im Luftzug im ersten Stock des Rosenmuseums in Steinfurth, einem Ortsteil des hessischen Kurortes Bad Nauheim. Dazu ertönt sanfte Musik, strömt Rosenduft, ist Rosenpoesie zu lesen.

„Fünf symbolische Bedeutungen“ schreibt Sabine Kübler, Leiterin des Museums, der Rose zu: „Sinnbild der Liebe, der Vergänglichkeit, Verschwiegenheit, der Weiblichkeit und der Religiosität. Gleich nebenan gibt es fast nichts, was es nicht gibt, das sich nicht mit Rosen schmücken, in Rosenform gießen, pressen, stanzen ließe.

Dazu gehören auch zwei allerliebste Hüte aus den USA, ganz luftiges Nichts mit Rosen. In einer Ecke steht eine rosenbemalte Toilettenschüssel. In den Schubladen stapeln sich Grußkarten, Papierblumen, eine Sammlung, die im Katalog „Exponate der wichtigsten Produkt- und Stilgruppen“ heißt.

Steinfurth ist seit 1868 Rosenstadt. Die Blumen brachten den armen Tagelöhnern und Pächtern vierfachen Lohn und einigen Wohlstand. Der Gärtner Heinrich Schultheis war aus England in seinen Heimatort zurückgekehrt. Er hatte in den „King's Acre Nurseries“ von John Cranston die Kultivierung der Pflanze erlernt und gründete mit seinen Brüdern Konrad und Wilhelm den ersten Anbaubetrieb „Gebrüder Schultheis, Rosisten“. Die Rosengärtnerei war in Mode, die Branche expandierte schnell.

Europa war nach der Einführung chinesischer Edelrosen gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dem Vorbild der französischen Kaiserin Josephine rosenverrückt geworden. Die Steinfurther lieferten nicht nur nach Rußland und Dänemark, sondern, laut einer Kirchenchronik, „selbst nach Italien“. Sie richteten Rosenschauen aus und schlossen sich 1911 gegen „faule Kunden“ zu einem Gärtnerverein zusammen. Zur Blütezeit wurden Frankfurt und nahe liegende Badeorte mit Schnittblumen versorgt. Die Tabakindustrie in Offenbach und Frankfurt bestellte zur Parfümierung Rosenblätter. 1938 war die Zahl der Betriebe auf rund 200 gewachsen, die jährlich rund 15 Millionen Pflanzen auslieferten.

Expansion und Selbstorganisation fanden im Zweiten Weltkrieg ihr Ende. Der Nationalsozialismus reglementierte die Rosenanbauer und die Teilnahme an Rosenausstellungen. Und er machte sich die Symbolkraft der Blume mit den „Tag der deutschen Rose“ zunutze, bei dem Teilnahme Pflicht war und die Preise diktiert wurden. Die Reichsgartenschau im Herbst 1936 wurde in Bad Nauheim mit pompösem Hitler-Bild über Rosen ausgerichtet.

Die Steinfurther sind keine Gärtner, sie züchten auch keine neuen Rosen. Sie verstehen sich als Anbauer, die in Baumschulen Pflanzen produzieren und in zweijährigem Rhythmus ernten. Auf die im ersten Frühjahr gepflanzte Wildrose rosa canina werden im Sommer die Augen, kleiner Reiser von Edelrosen, okuliert und befestigt.

Steinfurther sind, heißt es, „mit dem Okuliermesser auf die Welt gekommen“. Im zweiten Jahr wird der Wildling beschnitten, der Edeltrieb gekürzt und im Herbst entblättert, gerodet und für den Versand in Bündeln zusammengebunden. Daß Rosen eigentlich keine Dornen, sondern, botanisch korrektm, Stacheln haben, änderte nichts daran, daß ihr Anbau eine harte und außerdem hosenzerreißende Arbeit für die ganze Familie war. Deshalb panzerten sich die Rosenbauern mit Lederkleidung, dicken Schuhsohlen und Handschuhen.

Da hatte sich mancher schon die dornenlose Rose gewünscht. Die gibt es, Doppelgesichtigkeit der Rose, in der religiösen Mystik vor dem Sündenfall und ganz profan anzüglich: Das Überreichen einer dornenlosen Rose bedeutete in der Blumensprache des Biedermeier, daß sich der/die ÜbersenderIn „alles“ ersehne. Verehrung und Mystik der Rosen, o Maria hilf, sind älter als das Christentum.

Persiens Dichter besangen göttlich gelassene Rosen, die von der sehnsüchtig suchenden Seele Nachtigall umschwärmt werden. Daß das sexualsymbolträchtige Märchen vom hinter der Dornenhecke schlummernden Dornröschen eigentlich zu den französischen Zaubermärchen gehört und nicht mit dem Prinzenkuß, sondern, wie im richtigen Leben, mit einer bösen Schwiegermutter und deren Bestrafung endet, ist eine andere Geschichte.

Schon 3.500 Jahre v. Chr. dufteten mesopotanische Rosengärten. In unserer Region kamen zu den heimischen vier Wildarten und ihren Variationen erst um 800 „zahme“ Edelrosen. Mönche pflanzten sie in ihren Klostergärten. Das Christentum hatte den exzessiven Rosenkult der Römer, bei dem es für die Lebenden wie die Toten Rosen regnete, als sündig abgelehnt. Nun wurden Rosen wegen ihrer Nützlichkeit kultiviert. Sie sollten nicht schmücken, sondern Insekten vertreiben und Keime töten. Es wurden Blätter, Blüten, Früchte und Wurzeln verwendet. Die Rose stärkte das Herz, half bei Entzündungen, gegen Magen-, Kopf und Zahnweh und galt als Mittel gegen Trunkenheit. Die Rosa gallica officinalis wird auch Apothekerrose genannt. Die Rosa canina kommt heute in der Dufttherapie von Edward Bach als Hilfe gegen Resignation und Fatalismus wieder zu therapeutischen Ehren.

Die Blume der heidnischen Göttinnen wuchs den Christen auf dem Umweg über den jungfräulichen Marienkult samt Dorn und himmlischer Blüte ans Herz. Die rote Sünderin wurde außerdem kräftig zum Symbol des Blutes des Gekreuzigten reingewaschen. Kreuz und Rose wuchsen zusammen und entflochten sich in den erotischen, allegorischen Rosenromanen des 13. Jahrhunderts wieder in klerikale und weltliche Ranken. Bis hin zum handfesten Sexus, der das Frauenbild des Eros der höfischen Minne unter eifriger priesterlicher Beteiligung in das pflanzlicher Sexualobjekte verkehrte.

Rot und weiß, Blut und Sperma, Schöpfungsakt, Sünde und Unschuld, Leben und Tod – die rote Rose und die weiße Lilie sind ein Geschwisterpaar eigener Art. Gottfried Keller verrät das Rezept ihrer Mischung: „Wie willst du weiße Lilien zu roten Rosen machen? Küß eine weiße Galathee, sie wird errötend lachen.“ Und die Blumengleiche wechselt nicht nur die Farbe, sondern wird in ungezählten Gesängen und Reimen auch entblättert und gebrochen. Eine Rosenzüchtung des vorigen Jahrhunderts erblühte weiß und rötete sich gegen Abend. Ihr Züchter nannte sie „rosa defloratio“. Das ist auch nicht geschmacloser als eine Neuzüchtung, die 1953 den Namen „Atombombe“ erhielt.

Daß Rosen auch Raupen haben, wußte die Malerin und Kupferstecherin Maria Sibylla Merian in ihrem 1679 erschienen Buch „Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung“: „Diese Räuplein nun sind an und für sich selbst schön grün der Kopf samt den sechs vördersten klaulichten Füßlein und deren hinterste Gliedlein ist schwartz.“ Vor allem Frauen beobachten die Pflanzen und bilden sie genau ab, während Männer die Kunstgeschichte prägen.

Alchimisten und Geheimbünde wählten sich das Pentagramm der Rosenblüte als Blume der Weisheit. „Sub rosa dictum“, unter der Rose geredet, verpflichtete zu Verschwiegenheit. Deshalb wachte sie als frische Blume, als Malerei oder in Stein gehauen sowohl über Zechgelage als auch Beichtstühle und Rathaussäle. Zum Werden und Vergehen der Rose sagt Friedrich Hölderlin: „... Röschen unser Schmuck veraltet / Stürm entblättern dich und mich.“ Und fährt fort: „Doch der ew'ge Keim entfaltet / Bald zu neuer Blüte sich.“

Daß Steinfurth trotz seiner „Rosenkriege“ mit der nach dem Zweiten Weltkrieg in Schleswig- Holstein erwachsenen Konkurrenz, Billigimporten aus Osteuropa, und Umsatzrückgang wegen sich verändernder Gartenmoden immer noch von und mit den Rosen lebt, ist schon vor dem Ortseingang auf den Feldern zu sehen. Bei Gertrud Gönewein gibt es, für alle Steinfurther Firmen eher ein kleiner Nebenverdienst, auch duftende Rosensträuße zu kaufen. Richtige Steinfurther haben für geruchlose Treibhauspflanzen nichts übrig. Und einen mit Namen Schultheis gibt es auch noch im Ort. Der Landschaftsgärtner Walter Schultheis experimentiert hinter dem vom Urgroßonkel gegründeten Betrieb mit alten Rosensorten. Er fachsimpelt mit Museumsleiterin Sabine Kübler über ein Projekt der „Gesellschaft zur Förderung der Rose“.

Auf einem Versuchsfeld sollen in zwei Jahren ökologisch angebaute Rosen zur Gewinnung alter und neuer Produkte erntereif sein. Die Duftserie „roseros“ mit Rosenwasser, Rosenöl und einem edlen Badezusatz wird schon im Museum angeboten. Bis zu 5.000 Kilogramm Blüten ergeben gerade ein Kilo ätherisches Öl. Ein Kilo kostet bei einer Weltproduktion von nur 13.000 Kilo rund 16.000 Mark.

Auch daran, aus den Abfällen einen natürlichen, die Abwehr gegen Mehltau und Insekten stärkenden Rosendünger zu gewinnen, denken die Steinfurther Experten. Und Rosenblätter, die jetzt eher ein Abfallprodukt sind, wären ungespritzt zum Verzehr geeignet, zum Beispiel für die „Creme von Rosen au bain Marie“. Man nehme: reichlich Rosenblätter, Zimt, 15 Eigelb, Sahne und ein halbes Pfund Zucker.