„Tornados sind das falsche Fluggerät“

■ Ehemaliger Pilot kritisiert möglichen Tornado-Einsatz der Bundeswehr

Lagerlechfeld (taz) – Im Vorzimmer von Kommodore Johann G. Dora ist Endstation. „Wir geben derzeit keinerlei Auskünfte. Bitte wenden Sie sich an die Pressestelle des Verteidigungsministeriums“, heißt die stereotype Antwort. Die Einheit des 45jährigen Oberst soll nach dem Willen des Bundeskabinetts möglicherweise in Bosnien eingesetzt werden. Auf dem Lechfeld bei Augsburg sind die Spezial-ECR-Tornados (Electronic Combat Reconnaisance) stationiert, die einen eventuellen Rückzug der UNO-Blauhelme begleiten sollen. Innerhalb von zwei Tagen, heißt es, seien die Tornados im Bedarfsfall einsatzbereit.

Wenige Kilometer entfernt sitzt Major a.D. Rudi Michel* vor dem Fernseher und schüttelt den Kopf. „Das ist der helle Wahnsinn“, sagt der einstige Tornado-Pilot. „Die Tornados sind dafür das völlig falsche Fluggerät.“ Michel hat das Flugzeug jahrelang selbst geflogen. Seine aktiven Kameraden, denen der Ernstfall ins Haus steht, sind zum Stillschweigen vergattert. Was in ihnen und ihren Familien vorgeht, ist für Journalisten tabu. Dabei ist ihnen, ebenso wie Major Michel, bekannt, was ein solcher Einsatz bedeuten könnte. „Der Tornado ist eine Waffe des Kalten Krieges“, erläutert Michel. Mit ihm könne man im Feindesland gegnerische Flugzeuge bombardieren, bevor sie überhaupt aufsteigen, den vorrückenden Feind – beispielsweise Panzerspitzen – bekämpfen oder, wenn dieser Feind schon ins eigene Land vorgedrungen sein sollte, das Gefechtsfeld abriegeln. Für den Schutz beim Rückzug der Blauhelme sei er jedoch ebenso ungeeignet wie für die Sicherung von Transportflügen.

Die Erklärung klingt einleuchtend: Die vielgepriesene Fähigkeit, mit hoher Geschwindigkeit, nämlich rund 1.000 Stundenkilometer, im Tiefflug unter dem gegnerischen Radar hindurchzufliegen, nützt wenig. Denn die langsamen Transportmaschinen können da nicht mithalten. Außerdem fragt sich Michel, ob die Serben über Stinger-Flugabwehrraketen verfügen oder über sogenannte SAM-6 oder SAM-9-Raketen. Die Stinger-Raketen werden nämlich durch Infrarot gesteuert und nicht durch Radar. Sie reagieren also auf Hitze, beispielsweise von Triebwerken, und sind einfach zu handhaben. Die Sowjets haben im Afghanistan-Krieg damit böse Erfahrungen gesammelt; Militärstrategen sagen, erst durch deren Einsatz sei es zur Wende im Afghanistan- Krieg gekommen. Nicht umsonst hätten später die Amerikaner versucht, für völlig utopische Summen die verbliebenen Stinger-Raketen von den Mudschaheddin zurückzukaufen. Fliegt ein Flugzeug langsamer als 480 Knoten, also rund 800 Stundenkilometer, kann es ein geübter Schütze damit problemlos abschießen. Diese ebenso gefährlichen wie einfach zu bedienenden Waffen ähneln vom Prinzip her einer Panzerfaust. „Freilich gibt es verschiedene Tricks, damit umzugehen. Z.B. das Erzeugen anderer Hitzequellen, die die Raketen fehllenken. Aber da müssen die Piloten erst einmal merken, daß man auf sie schießt und extrem schnell reagieren“, bemerkt Michel. Außerdem bezweifelt er, daß es aktuelles Kartenmaterial gibt.

Die offiziellen Erklärungen lesen sich einfacher. Die Tornados aus Lechfeld würden, wenn es zum Einsatz käme, auf einem Militärflughafen in Norditalien stationiert. Dorthin wird auch das erforderliche Bodenpersonal verlegt. Dann operieren die Flugzeuge mit einer Reichweite von 1.200 Kilometern von Italien aus. Luftwaffensprecher Joachim Both räumt ein, daß derzeit der Zweck des Einsatzes noch nicht klar definiert sei. Sollte es zu einem Schutz von Hilfsflügen kommen, müßten die Tornados aber nicht zwangsläufig die gleiche Strecke und Geschwindigkeit fliegen. Daß aktuelle Landkarten fehlen würden, bezeichnet der Presseoffizier als Unsinn.

Peter Brosche, Vorstandsmitglied des Darmstädter Signals, einem Zusammenschluß kritischer Soldaten, ist verärgert über den geplanten Tornado-Einsatz: „Es ist doch unverantwortlich, das Problem im einstigen Jugoslawien auf dem Rücken von Soldaten lösen zu wollen und sie auf dem Schlachtfeld zu opfern, nur weil die verantwortlichen Politiker völlig handlungsunfähig sind.“ Klaus Wittmann

* Name von der Red. geändert