Berlusconi ist zwar gestern nachmittag nicht zurückgetreten, aber dann fällt er eben durch Mißtrauensanträge. Staatspräsident Scalfaro will die „Zeit danach“ nicht mit Neuwahlen beginnen, sondern mit einer Interimslösung. Aus Rom Werner Raith

Sendeschluß für Berlusconi

Schon der erste Schritt, den Italiens Abgeordneten-Vorsteherin Irene Pivetti in die von allen erwartete Nach-Berlusconi-Ära tun wollte, erwies sich als ein Stolpern: Das Parlamentspräsidium hatte einstimmig beschlossen, weder die Rede des seiner Mehrheit verlustigen Ministerpräsidenten noch die Mißtrauensanträge der Opposition und der abtrünnigen Liga Nord im Fernsehen übertragen zu lassen. Es war die Konsequenz, die das Präsidium aus den ständigen Selbstpräsentationen des Medienherrschers in allen nur erreichbaren Kanälen zog. Zumal die Sender keine ununterbrochene Übertragung der gesamten zwanzig Stunden der Debatte garantieren wollten. Das aber hatte Frau Pivetti im Interesse der Chancengleichheit dringend eingefordert.

So kam es zu Beginn der Sitzung über die Mißtrauensanträge gestern nachmittag zunächst zu Attacken der Regierungsfraktionen gegen Frau Pivetti. Im Berlusconi- Kanal Italia 1 schimpfte der Bauchredner der Regierungschefs, Paolo Liguori, mit einigen regelrechten Freudschen Fehlleistungen auf „diesen Skandal, wo die Parlamentspräsidentin einer Fernsehrepublik die Direktübertragung verhindert“. Er sagte wörtlich „Fernsehrepublik“.

Der Vorgang scheint symptomatisch: Alle zittern, die einen vor dem Machtverlust, die anderen aus übergroßer Vorfreude. Vor lauter Nervosität verlieren sich die Volksvertreter in Präliminarien, drehen ihre eigenen Entscheidungen innerhalb weniger Minuten dreimal um und sind am Ende froh, wenn die erwarteten Ereignisse erneut verschoben werden. Man weiß ja nie, wie's ausgeht.

Die Perspektiven für die Zeit nach dem Bruch der ursprünglichen Rechtskoalition sind dementsprechend. Zwar ist nach dem Regierungsausstieg der Liga Nord Berlusconis Mehrheit auch im Abgeordnetenhaus dahin – im Senat, der anderen Kammer, existierte sie ohnehin nicht. Zwar haben sich die Linksdemokraten, die Italienische Volkspartei – Mehrheitsgruppierung der aufgelösten Democrazia cristiana – und die Liga Nord zusammen mit einigen Splittergruppen darauf geeinigt, daß Berlusconi auf keinen Fall mehr ans Ruder soll. Ja, mehr noch, man will in jedem Fall so schnell wie möglich ein Antitrust- und ein Mediengesetz verabschieden, das Berlusconi seine unternehmerische Macht stark beschneidet. Damit wäre dann seiner Gefährlichkeit auch bei einem politischen Comeback die Spitze genommen.

Doch um derlei durchzusetzen, braucht man eine Regierung – und vor allem einen neuen Regierungschef.

Schon hapert es. Berlusconi selbst möchte notfalls auch mit einem Minderheitenkabinett weitermachen – was ihm sein geschworenster politischer Feind, Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, jedoch mit aller Kraft vermasseln will. Scalfaro hat hier zwei Möglichkeiten in der Hand: Entweder eine neue Mehrheit im Parlament für eine alternative Koalition oder aber ein von ihm persönlich abhängiges Kabinett, das auch aus Persönlichkeiten von außerhalb der Volksvertretung bestehen kann. Eine Art Notstandsregierung, wie sie auch die Weimarer Verfassung in Deutschland zuließ – und deren häufiger Gebrauch durch Hindenburg wohl kräftig zum Untergang der ersten deutschen Republik beigetragen hat.

Daß sich die Gruppen, die den Sturz Berlusconis bewerkstelligt haben, auf eine Koalitionsregierung einigen könnten, scheint zunächst fast ausgeschlossen. Die große Mehrheit der Liga-Abgeordneten will zwar Berlusconi loswerden, weil ihnen der Mailänder zu sehr in ihren eigenen Gewässern fischt. Doch mit den Linksdemokraten, die sie noch immer als kommunistische Gefahr ansehen, wollen sie auch nicht regieren. Umgekehrt sind die Ligen, denen man mit Fug und Recht auch chauvinistische, oft sogar rassistische Züge und einen eindeutig antigewerkschaftlichen Hang nachsagen kann, für die Altkommunisten der Rifondazione comunista nicht akzeptierbar.

Beide aber bräuchte man zur Mehrheit. So munkeln Liga-Chef Bossi wie PDS-Chef D'Alema seit Wochen etwas von einer Art „Notstandsallianz“, die lediglich eine Absprache über bestimmte Programmpunkte – wie das Antitrust- und das angestrebte neue Wahlgesetz – trifft und ansonsten die alltägliche Administration durch ein Expertenkabinett erledigen läßt, das keine politischen Ambitionen hat.

Staatspräsident Scalfaro wäre damit einverstanden – ist aber skeptisch, ob ein solches Programm hält. Weshalb er in den letzen Tagen wiederholt Oldtimer zu sich gebeten hat, um diese zu fragen, ob sie sich für eine von ihm gestützte Übergangsregierung zur Verfügung stellen würden. Darunter auch seinen Amtsvorgänger Francesco Cossiga. Der gilt als rechts genug, um auch einzelne Flügel von Berlusconis Forza Italia herauszubrechen, und würde andererseits von Christ- wie Linksdemokraten trotz schlechter Erinnerungen an seine Amtszeit geschluckt: Hauptsache, der Neue heißt nicht Berlusconi.

Der hat inzwischen begriffen, daß seine Zeit vorläufig mal zu Ende ist – und bereitet sich darauf vor. Straßen und Plätze werde man füllen, hat er bereits angekündigt, und den Wahlsieg vom März 1994 werde er sich auch nicht nehmen lassen. „Das heißt Krieg“, kommentierte in einer Fernsehsendung der stellvertretende Chefredakteur von La Stampa, einer Tageszeitung im Besitz der Fiat-Familie. Eine klare Warnung: Geht der Mailänder Unternehmer diesen Weg weiter, werden ihm seine Kollegen, die bisher stillgehalten haben, nicht mehr folgen. Spätestens dann wird Berlusconi erkennen müssen, daß er nun auch den wirtschaftlichen Potentaten zur Last geworden ist.