Du darfst!

■ Glücklich und schlank: Ein Light-Dinner mit Fanny M. serviert von Sannah K.

a liegt sie, seit drei Tagen in meiner Küche, die Verlockung, die Stund' um Stund– mehr zur Drohung wird: die komplette Mahlzeit mit nur 324 Kalorien. Vorsichtshalber in einem Supermarkt gekauft, in dem mich keiner kennt. Wo ist sie geblieben, die heimliche Lust beim Betrachten dieser werbefernsehgepriesenen Herrlichkeiten, die erst den Gaumen verzücken und einen danach zur überglücklichen Frau machen sollen, die immerfort ihr Spiegelbild im Schaufenster anstrahlt? Glücklich und schlank, für im Schnitt nur 5 Mark 49; sollte das nicht den Selbstversuch wert sein?

Aber jetzt liegt sie da, diese Packung Rinderroulade mit feinwürzigem Rotkohl und lockerem Kartoffelpüree. Du darfst steht drauf, aber mir wird es allmählich zum Du mußt. Daneben grient eine Schachtel Delite-Hähnchenbrustfilet a la Mandarine (381 Kalorien) und im Tiefkühlfach stapeln sich Iglo-Gemüsestäbchen (Stück 76 Kalorien) und Spinatmedaillons (Stück 101 Kalorien).

„Das stehen wir zusammen durch“, Fanny Müller spendet Trost und eine Flasche Württemberger Riesling, der Liter 3,99 vom Penny. „Braucht man 'ne Impfung gegen Skorbut oder so?“ – Sicherheitshalber stelle ich eine Flasche Multivitamin-Saft bereit, außerdem einige unerläßliche Accessoires: Gürkchen, Oliven, Mayonnaise und Mango Chutney.

Mais, Broccoli, Karotten, Käse, Spinat, Kartoffelpüree, Porree: Zwei sorgenvolle Augenpaare beobachten die panierten Stäbchen in der Pfanne. Der Countdown läuft: noch acht bis zwölf Minuten. „Wir könnten uns vorher schon mal mit gefüllten Weinblättern aus der Dose fertigmachen.“ Keine Widerrede – mit Gurken und Oliven rutschen die anstandslos. „Eigentlich gehören da ja Pistazien rein.“ Fanny doziert. „Aber für 3,99 kannssu ja heute nix mehr verlangen.“ Ich schenke ihr ein Glas Wein nach. Leider verrät die Dose nichts über die Verbrennungswerte.

Derweil ist die Panade gebräunt, im Wasserbad dümpeln zwei Reis-und-Huhn-gefüllte Plastiktüten. „Ich glaub, ich krieg' Migräne.“ „Nix da“. Fanny ist unerbittlich. „Gib ma' das Chutney rüber.“ Die Stäbchen verschwinden unter der süß-scharfen Klebrigkeit. „Schmeckt klasse.“ Wir sind uns einig: Das Mango Chutney ist köstlich. Der Fairneß halber räumen wir ein, daß die Gemüsedinger notfalls auch mal ohne zu genießen wären. „Schreib' aber auf, daß man danach aufstoßen muß!“, nuschelt Fanny hinter diskret vorgehaltener Hand.

Ansonsten lassen die Speisen Raum für kulinarische Dispute. „Würdest du Heiligabend eher Zanderklößchen auf Hummerragout oder gefüllte Kaninchenkeulen mit getrüffeltem Kartoffelsalat als Vorspeise reichen?“ Man ist halt Abonnentin von Essen und Trinken.

„Zeig ma' das Rezept für Fasan im Speckhemd mit Petersilienpüree.“ Fanny leckt das restliche Chutney vom Teller. Derweil ich die Erfahrung mache, daß man sich an gekochten Plastiktüten recht schön die Finger verbrennen kann. In dem Reis sind schwarze Einsprengsel – Wildreis! Man gönnt sich ja sonst nix. Hähnchen a la Mandarine also. Der erste vorsichtige Gabeltest. „Hm“. „Gib ma' das Chutney rüber.“

Auf der Packung steht: Reis, Hähnchenbrustfilet, Hefegemüsebrühe, Mandarinen, Orangensaft, grüne Bohnen, Wildreis, Fleischfond, Tomatenmark, Salz, Karamelzuckersirup, Knoblauch, weißer Pfeffer etc. „Komisch, meins schmeckt nur nach Mango Chutney.“ Aber das schmeckt gut, wie wir uns versichern.

Danach wird es schwieriger. Während Fanny das restliche Chutney vom Teller leckt, mache ich die Erfahrung, daß man sich auch an Kartoffelpüree recht schön die Finger verbrennen kann. „Von erfahrenen Köchen mit den besten Zutaten nach Originalrezepten hergestellt“, trage ich vor. „Hm“. Wir rätseln. Wie haben sie wohl den Geschmack aus der Roulade rausgekriegt? Und in welcher Region mag man das Kartoffelpüree mit Haarspray würzen? „Soll ich dir das Chutney rübergeben?“ „Sag' mir lieber, wie ich Heiligabend die Ente für meine Nichten zubereiten soll.“ Fanny scheint resigniert. Nicht mal ihren Teller mag sie sauberlecken. Sind allerdings auch nicht mal mehr Spurenelemente von Chutney drauf. Dafür aber reichlich auf meiner neuen Jeans.

Nach einem kurzen Wortwechsel, über dessen Ausgang ich mir bereits vor 45 Minuten sicher war, entscheiden wir, daß wir doch nicht bleiben wollen, wie wir sind. Also in die Küche und die Mini-Windys holen. 20 Schoko-Creme-gefüllte Windbeutel aus der Kühltruhe, auf der die Kalorien wohlweislich nicht vermerkt sind, und die nur einen einzigen Nachteil haben: Sie brauchen 45 Minuten zum Auftauen. Dazu 'nen schönen löslichen Espresso.

Schließlich trollt sich die Gästin mit dem Rezept für Thymian-Ente, obwohl ich eindringlich zur arabischen Variante (Feigen, Mandeln, Chili, Himbeeressig) geraten hatte. „Jetzt inne Schubkarre“, höre ich es noch satt vor der Haustüre murmeln. Du dürftest, denke ich.