Du darfst auch!

■ Glücklich und fett: mit Eis Croissants trotz Wolfram S. Ein Tip von Clemens Gerlach

chon im Spätsommer bekommt Wolfram Siebeck feuchte Hände. Und wenn der Herbst vergangen ist, der Winter nicht mehr nur vor der Türe steht, sondern in Heim und Herd Einzug gehalten hat, fängt Deutschlands bekanntester Küchentischtäter erst richtig zu rotieren an. Dann wälzt er seine Kochbücher, die er, wenn ich mit meinen Vorurteilen richtig liege, bestimmt auch noch sammelt, und sucht darin nach tollen Vorschlägen. Nein, nach profanen Rezepten schaut der Mann vom Zeit Magazin nicht, denn in der Feinschmeckerszene werden Speisen nicht einfach nachgekocht, sondern zubereitet oder noch präziser: kulinarisch rekonstruiert.

Doch meist ist der Blick in die Nachschlagewerke ein vergeblicher: Wer bereits tausendmillionen (Weihnachts)Menüs unter das harrende Volk gemischt hat, darf auch schon mal andere Wege gehen. Also ruft Siebeck seinen Kollegen Jean-Pierre in Balzac de Montre de Papillon deux bicyclettes aux Pluc LeRon an, der in diesem heimeligen Flecken unweit der Rhône ein petit restaurant betreibt. Der Gefragte hilft gerne aus und empfiehlt (taz-LeserInnen mitschreiben!) als Vorspeise kleine Austernpilzfilets mit einem Hauch grobgeklöppeltem Salbeimus an säuerlichem Badewannenrand.

Doch damit will sich Siebeck nicht zufrieden geben. Er wählt Julio Casematti in Tutto Stronzo Pastalozzi an. „Ciao Wolfi, null problemo, ich helfe dir gern.“ Drum als gangbare Zwischenlösung: hämischer Dornenvögelsalat in klumpenloser Tintenfischbrühe ohne viel Mühe (wichtig: Knochen vorher rausnehmen, die brauchen wir noch für das Saubermachen der Küche). „Danke, Julio, danke.“

Fehlt noch ein Hauptgericht. Galbano aus Spanien weiß Rat. Seit mehr als 30 Jahren kennen und bekochen sich Siebeck und der Katalane. Dennoch konnten sich die beiden bis heute nicht darauf einigen, ob Mehlschwitze gegen das Völkerrecht verstößt oder nicht. Doch über der Planung eines Weihnachtsmenüs vergißt der iberische Pfannenkönig diesen juristischen Disput und feuert statt dessen alle Herdplatten an – und lüftet sein großes Geheimnis: „Du mußt statt Butter die dünn geschnittene Mandelhaut nehmen, damit der Bratensud schön duster wird.“ „Weiß ich doch längt“, denkt Siebeck und muß sich zu Aufmerksamkeit zwingen, als Galbano zum eigentlichen kommt. Das Warten lohnt sich: flambiertes Hirschhirn an grünem Pfeffergelee mit geviertelten Basilikumplätzchen im devoten Naturreismantel.

Doch trotz dieser europaweiten Soli-Aktion ist Siebeck nicht glücklich. Der Vater des besten aller Kartoffelkretins weiß, daß die Krönung jeder Mahlzeit, Entschuldigung jedes Festessens, der Nachtisch ist. Der fehlt dem im Süddeutschen beheimateten Gourmet noch, wie jedem, der sauber mitnotiert hat, nicht entgangen sein sollte.

Also noch mal blättern ... vielleicht ... und da kommt dem Wolfi die Idee. Blätter, blätter ... ja, Blätterteig, das ist doch ... oh Schreck, den konnte ich noch nie. „Keine Sorge“, dringt es aus seinem Unterbewußtsein, „hast du kürzlich nicht die Werbung gesehen?“ Jene mit dem lustigen Alphonse, der in seinem Iglo-Bistro jede Menge origineller kleiner Leckereien erfindet: erst die knackigen „Pizza-Crossas“ und nun die „Eis Croissants“.

An dieser Stelle, liebe LeserInnen, ein kleines Wort an Sie direkt. Diese – vor Zubereitung tiefgekühlten – Croissants funktionieren wirklich und schmecken ganz famos (wie im übrigen auch das Aldi-Buttergemüse von für 1,49). Keine Bange, das Vanille- oder Nuß-Nougat-Eis läuft nicht raus, es gibt keine Sauereien mit dem klebrigen Zeugs, weil nix wegschmilzt, und es kommt auch nicht knüppelhart aus der Backröhre.

In diesem Fall ist der TV-Spot reine Wahrheit, auch wenn es vielleicht ein wenig ungewöhnlich, womöglich sogar ziemlich deppert ist, daß immer derselbe Bistro-Besitzer in irgendeinem französischen Provinzkaff so tolle Ideen hat und diese nicht für sich behält, um sie in Eigenregie zu vermarkten, sondern den Gefrierprofis der Langnese-Iglo GmbH zukommen läßt. Aber so sind sie halt, die gastronomischen Erfinder, deren Maxime zu sein scheint: „Laß die Genüsse wandern, von einem Gaum zum anderen“. Vielleicht ist Alphonse aber auch ein Mann mit Weitblick, der mögliche Flächengefrierbrände in irgendwelchen Tiefkühltruhen nicht verantworten will. Allein der Gedanke läßt dem frischen Franzosen den Moustache zu Berge stehen.

Doch zurück zu Wolfram Siebeck, der auch nach weiteren 25 Zeilen noch immer nicht den Nachtisch für sein Heiligabend-Menü beisammen hat. Denn der Ehrenkodex gebietet den Speise-Fetischisten – nein, Max Inzinger gehört nicht dazu –, nur frischeste Zutaten zu verwenden, wie zum Beispiel freilaufende Kartoffeln, ungestopfte Wildkaninchen oder gewerkschaftlich organisierte Knoblauchzehen. Tiefgefrorenes aus der cuisine frigidaire ist für die nouvellecuisinistischen Kulinaren tabu.

Doch wie kommen Otto und Ottilie NormalverbraucherIn an schlachtfrischen Rosenkohl ran, wie an die anderen Zutaten? Wo um Himmels Willen kriegt man kurz vor Heiligabend noch frisches Hirschhirn, woher Austernpilzfilets? Na gut, säuerlichen Badewannenrand hat man eigentlich immer im Haus, schließlich kann man liebe Gastfreunde nicht immer küssen, wenn man sie verwöhnen will. Aber den Rest?

Bei allen Byzantiner-Nüssen, die je für Ferrero Rochet draufgegangen sind, seien Sie flexibel. Muß es denn wirklich das von Wunder-Wolfram empfohlene Fünf-Gänge-Gelage sein, zumal der Schlußgang weiterhin offen ist? Warum nicht zu Weihnachten mal was ganz anderes. Zum Beispiel die herrlichen Eis Croissants bis zum Abwinken. Das torpediert zwar etwaige feiertagliche Vorsätze a la „dieses Jahr mal weniger futtern“, dafür schmecken die Teile aber auch nicht wie der kalorienreduzierte Knüppel-auf'n-Kopp-Diät-Scheiß. Außerdem: So hält man garantiert sein Übergewicht. Glauben Sie mir ruhig, ich spreche aus Erfahrung.