: Schnitt! Schnitt!
■ Über Wesen und Unwesen des Splatterfilms/ Bad-Taste-Nacht im Kino 46
Zu den vielen, drolligen Widersprüchlichkeiten der Splatterszene gehört die Bemerkung, der Splatterfilm sei praktisch ja schon „totgesagt“. Aber Totgesagte leben nun mal länger – gerade die Kenner des Genres sollten das wissen. Heute nacht wandeln die Untoten also wieder munter in Bremen. Die „Bad-Taste-Night“ im kommunalen Kino läßt Zombies, Mutanten und irre Schlitzer auf ihr erwartungsfrohes Publikum los. Ein treffliches Gegengift zum kollektiven Besinnlichkeitswahn, sicher. Aber daß der Splatterfilm nicht totzukriegen ist; daß die Blut- und Eingeweideorgien der Billigfilmer aus aller Welt sich nachhaltiger Beliebtheit erfreuen – das liegt wohl nicht allein an Weihnachten.
Ein nicht geringer Teil der Faszination an der Splatterware erklärt sich bereits durch das Hinterfragen von Splatter. Denn der Streit bzw. das Spiel zwischen den Konsumenten und den zuständigen Sichtungsbehörden ist selbst zu einem Spektakel geworden, ja: zu einem Ritual, das an Drastik und Komik die Filme oft überbietet. Hier: Die eingefleischten Connaisseure, die auf jedem Millimeter Zelluloid bestehen; die sich vor allem über „die Schnitte“ im Film unterhalten, über die vorenthaltenen Sekündchen aus der „Rasenmäherszene“ in „Braindead“, in der die Untoten grotesk und effektiv zugleich rasiert werden. Dort: Die jugendschützerischen Institutionen, von den o.g. Splatterfans auch gern fälschlicherweise als „Zensoren“ bezeichnet bzw. verdammt; Menschen, die den Splatterfilme das antun, was diese den Menschen antun: sie kurz besehen und dann zerschneiden.
Daß alles unter dem fadenscheinigen Deckmäntelchen des Kinder- und Jugendschutzes geschieht, ist für alle Beteiligten belanglos. Was zählt, ist der ritualisierte Disput, der beiden Fraktionen erst dauerhaftes Leben verleiht. Die beklagten „Schnittstellen“, um die hier alles geifert, sind für den Jugendschutz so unerheblich wie für den Genuß der Splatterfilme.
Das ist freilich nur der halbe Spaß an der Sache. Der aber schon mal eines zeigt: Mit Fragen des Jugendschutzes, der Menschenwürde oder gar der armen, überstrapazierten Kunstfreiheit ist diesen Filmen nicht beizukommen. Es gibt diverse Erklärungsversuche, die dem Rasenmähersyndrom sei's soziologisch, sei's filmtheoretisch nachspüren. Befriedigt Splatter eine ureigene „Ekellust“, wie es das Horrorgenre seit Urzeiten der „Angstlust“ heimzahlt? Gibt es eine Verbindung zwischen der 68er Jugendrevolte und dem Aufstand der Untoten in George Romeros Klassiker „Return of the Living Dead“? Oder einen Draht zwischen den bekennenden Sado-Maso-Freunden unserer Tage und den genüßlich wimmernden Charakteren auf der Leinwand – im Mainstreamkino wie im Splatterfilm? Vielleicht ist es auch einfach so, wie der Berliner Splatterfilmer „Graf Haufen“ sagt: Er findet die Hauptattraktion darin, „daß man etwas sieht, was im Inneren des Körpers liegt“.
Vielleicht ist aber selbst das schon viel zu tief geschürft. Wenn im Anblick sich in die Kamera ergießender Eingeweide tatsächlich etwas Befreiendes, mithin Lustiges zutage tritt – dann liegt es vor allem daran, daß sich alle Beteiligten längst im Jenseits von Gut und Böse aufhalten. Alle moralischen Anfechtungen müssen ins Leere rauschen, wenn sie gegen einen Film wie „Frankenhooker“ aufgebracht werden: Nicht nur die Klischees des Horrorfilms, sondern auch die Bildergier der Sexindustrie wird in dieser völlig durchgeknallten Splatterkomödie verhackstückt (PR-Spruch: „Where sex can cost you an arm and a leg...“). Denn längst sind alle Tabus gebrochen, alle Ekeleffekte schon mal dagewesen. Was bleibt, ist das – mal mehr, mal weit weniger geistreiche – Spiel mit den Klischees. Wie schreibt der US-Kritiker James Monaco so schön lapidar über „Frankenhooker“: „It's a lot of fun, but leave the kids at home.“
Thomas Wolff
Heute ab 22.30 Uhr im Kino 46: „Aktion Mutante“, „Secret Adventures of Tom Thumb“, „Frankenhooker“ und „Dawn of the Dead“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen