Die Handarbeitsjunkies von Schloß Schönebeck

■ Zeit am Hohlsaum: In Vegesack entstehen Tischdecken und Taschentücher für die kommenden Generationen

Gleich hinterm Lesumer Schnellweg beginnt die Toscana von Vegesack. Täler steigen zu Hügelchen an, seicht gehen Landschaften ineinander über. Zwischen „Wildstieg“, „Heidschnuckenweg“ und „Schafgegend“ riecht es nach Milde und Barmherzigkeit. Alles ergibt sich, Heimat, Heirat, Geheimrat – naturgewordene Harmonie.

Hier stoßen Flanierende auf das Heimatmuseum Schloß Schönebeck. Hinter dicken Mauern ist Geschichte konserviert: Im Keller die Schloßküche, darüber Galionsfiguren der christlichen Seefahrt. Aber auch Schmuck aus der Südsee, Robbenknüppel, Fischknochen, Dolche aus Malaysia, Vögel aus Neu-Guinea und der schaurig schöne Embryo eines Buckelwales.

Ganz ohne Alkohol kommen dagegen die Augen aus, die in der Schloßkate gewirkt werden. Die „Occhi“ (dt.: Augen) stammen aus Italien und haben Ähnlichkeit mit den gehäkelten Bordüren an Omas Taschentuch. Im vorigen Jahrhundert zierten Occhi vornehmlich die Unterhosen französischer Adelsdamen und klöppelten sich unter dem Namen „Frivolitäten“ schließlich auch in deutsche Stuben. „In der Schule haben wir das aber nicht gelernt“ gestehen unisono die acht Damen, die sich seit elf Jahren in der Schloßkate treffen. „Wir mußten Strümpfe stopfen und Flicken setzen“. Etwas nützliches also, keine dubiosen Dessous-Dekorationen. Doch Hausfrauen, jahrhundertelang im Nesteln geschult, bringen ihre Spitzen nun mal überall unter: Ob an Tischdecke, Eierwärmer oder Abendkleid, die Augen der Frauen verhaken sich überall.

Meistens bleibt es jedoch beim Taschentuch. Das paßt samt Garnrolle in jede Schürze. „Wenn man zum Arzt geht, hat man immer tewas dabei, womit man sich beschäftigen kann“, erklrärt eine der Damen. Außerdem ist ein Taschentuch vom Arbeitsprozeß her überschaubar, denn Occhi ist eine „sehr mühsame Handarbeit“. Tagelang brauchen die sausenden Schiffchen für eine Fahrt rund ums Taschentuchcarré. Behende zieht der Faden zwischen den Fingern Doppelknötchen. Anfängerinnen sollen sich schon bis zur Unkenntlichkeit verstrickt, ja, regelrecht eingepuppt haben. Nicht so die Occhi-Damen von Schloß Schönebeck. Leis aber unaufhaltsam entsteht in ihren Händen, die das Handarbeiten geschmeidig hielt, die Taschentuchaussteuer für die kommenden Generationen. „Wenn man erstmal eine Idee hat, ist das wie eine Sucht. Dann vergißt man sogar, daß man die Kartoffeln aufgesetzt hat.“

Ebenso geht es den Damen aus der Stickgruppe. Obwohl auch sie seit zehn Jahren emsig einem Hobby fröhnen, „das leicht zur Überproduktion“, nämlich von Tischdecken führt, beteuern alle: „Bis jetzt haben wir noch nicht alles gestickt, was wir uns vorgenommen haben.“ Gleichwohl wird schon mal die eine oder andere Decke verschenkt, selbst die mißratene Schwägerin kriegt einen Kreuzstich ab. Ganz nebenbei: Tröpfelte nicht schon der Schwiegermutter Blut auf Schneewittchens Stickrahmen?

Wer so subtile Stiche versetzen kann, braucht keine Therapie: „Uns ist der Mittwoch richtig heilig“, nicken die Damen, die niemals, nein, niemals, zum Hausfrauenbund konvertieren würden. „Da sitzen 50 Frauen in der Stickgruppe, da kommt man ja nicht mehr zu Worte.“ Und darum geht es den Plaudertaschen schon auch: „Wir sind ganz schön fleißig, aber das Wichtigste ist, daß wir uns hier gegenseitig stützen. Wenn mal eine Kummer hat und ihr Ventil aufdreht, hören alle zu und geben Tips oder auch mal –nen Stoß, je nachdem.“ Da sitzen sie, kakeln beim Basteln über Gott und die Welt, reden sich die Seele frei, und dokumentieren diesen Vorgang in herzigen Tischumrandungen. Das nennt man wohl Ganzheitlichkeit.

„Wir sind ein Club von lauter Frauen, und da gibt es nie Streit.“ Niemals, auch nicht die kleinsten Sticheleien? Na ja. Da war mal eine, die brachte eine Vorlage mit aufgebügeltem, also vorgezeichnetem Kreuzstich mit. „Das ist stillos, sowas wird ausgezählt.“ „Kreuzstich nach aufbügeltem Muster ist keine Volkskunst“, wird die Empörte sekundiert. „Wir sticken fadengebunden.“

Was immer das heißen mag, jedenfalls findet „ein strenger Erziehungsprozeß“ bei den Schloßherrinnen statt, die da in typisch weiblicher Genügsamkeit die Zeit mit kleinen Stichen am Hohlsaum festbinden. Für sowas sind die jungen Leute nicht mehr zu kriegen, „die verklüngeln doch ihre Zeit mit Arbeit.“ Und so gehen Jahre und Tischdecken ins Land. Andererseits: Es passiert ja immer was. So hat eine der Damen neue Möbel bekommen. „Die Tischdecken passen alle farblich nicht mehr. Jetzt muß ich wieder ganz von vorne anfangen.“ Die Schloßdamen nehmens mit Selbstironie und wenden sich wieder iohrer Arbeit zu. So ist das Leben wieder rund wie die Welt. Man kann es sich schon schön machen. Dora Hartmann